Reclam: Der Siegeszug der gelben Heftchen

Mit Leseautomaten bot Reclam ab 1912 Bücher zur Selbstbedienung an. Für 20 Pfennig bekam man ein Heftchen - pro Automat standen 80 Titel zur Auswahl.

Die Automaten standen überall, wo Menschen unterwegs waren - zum Beispiel in Cafes und Restaurants, in Vorhallen von Schulen und Theatern oder Bahnhöfen.

Zeitgleich gab es 2.000 Automaten, die ständig gewartet und neu bestückt wurden.

Mitte des 19. Jahrhunderts macht Anton Philipp Reclam mit seinen bekannten gelben Heftchen allen sozialen Schichten die großen Klassiker der Literatur zugänglich. Sein neuartiges Konzept geht auf: Schon bald stellte sich kommerzieller Erfolg ein und der Name Reclam ist noch heute ein Synonym für preiswerte, gute Bücher.

Anton Philipp Reclam kommt am 28. Juli 1807 zur Welt. Sein Vater, der Verleger Charles Henri Reclam, war zuvor von Berlin nach Leipzig gezogen. Fünf Jahre vor der Geburt seines Sohnes eröffnet er dort einen Buchladen für französische Literatur.

Das literarische Museum

Nachdem Philipp eine Lehre beim Verleger Friedrich Vieweg absolviert hat, der ihm sowohl die Drucktechnik, als auch das kaufmännische Wesen seines Berufes näher bringt, leiht er sich Geld und ersteht 1828 das literarische Museum. Hinter diesem Namen verbirgt sich eine Leihbibliothek samt Lesesaal, die schon bald unter politisch und literarisch Interessierten sehr populär wird. Zudem gründet er den dazugehörigen Verlag des literarischen Museums, den er später jedoch in Philipp Reclam jun. umbenennt.

Bücher für alle zum kleinen Preis

Am 9. November tritt eine Regelung der deutschen Bundesversammlung in Kraft, die besagt, dass die Werke jedes Autors bis 30 Jahre nach seinem Tod geschützt sind. Große Klassiker der deutschen Literatur, etwa Schiller, Goethe oder Heine, sind demnach gemeinfrei, das heißt, jeder Verlag hat die Erlaubnis, sie kostenlos zu drucken.

Reclam erkennt die Marktlücke und gründet die Universal-Bibliothek, mit der er auch die bisher unbeachteten, niederen sozialen Schichten mit Tiefstpreisen für sich gewinnen will.

Um die geplanten, niedrigen Preise realisieren zu können, kauft er zunächst eine Druckerei, da er mit Auftragsdrucken schlechte Erfahrungen gemacht hat. Dort verwendet Reclam modernste Technik und verzichtet auf aufwändige Gestaltung und teures Material, wie es bei anderen Verlagen dieser Zeit vorkommt. Durch enorme Auflagen senkt er die Stückkosten noch weiter, bis er die Heftchen zum sensationellen Preis von zwei Silbergroschen verkaufen konnte, heutzutage etwa fünf bis zehn Euro.

Reclams Wagnis zahlt sich aus: die Konkurrenz, die ihn Groschen-Reclam nennt, kann mit dem preisgünstigen Heftchen nicht mithalten und die gesamte Bevölkerung hat durch die Universal-Bibliothek die Möglichkeit, berühmte Werke, unter anderem Shakespeare oder Goethes Faust, zu kaufen und zu lesen.

Das Reclam-Imperium

Nach Reclams Tod übernimmt sein Sohn, Hans Heinrich, der vorher schon wesentlich an der Erstellung der Universal-Bibliothek beteiligt war, den Verlag.

Bis Anton Philipp im Jahre 1896 am 5. Januar in Leipzig stirbt, sind ganze 3470 Nummern in der Universal-Bibliothek erschienen. Die heutige Zahl der je erschienenen Titel ist unbekannt, liegt aber im fünfstelligen Bereich. Diese decken nicht nur die gesamte Pflichtlektüre in Schulen ab, sondern befassen sich auch mit Musik, Theater, Kulturgeschichte, Philosophie und vielem mehr.

Heute ist die Reclam-Universalbibliothek die älteste deutsche Buchreihe. Seinen zentralen Sitz hat Reclam von Leipzig nach Ditzingen bei Stuttgart verlegt und wird seit 2006 ausschließlich von dort geführt.

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