Peter Higgs und das "Gottesteilchen"

Aktuell ist in den Medien von einem "Gottesteilchen" die Rede. Physiker haben vermutlich einen schon lange gesuchten Baustein einer wichtigen Theorie über die Welt gefunden. Was es mit diesem sogenannten Standardmodell auf sich hat und was das "Gottesteilchen" mit Masse zu tun hat, erfährst du hier ...

Die Physik erforscht die Welt. Zu Newtons Zeiten befasste man sich noch mit Alltagsobjekten, die jeder sehen und anfassen konnte. Nach und nach drangen die Physiker immer tiefer in die Materie ein. Sie untersuchten, aus was die Materie aufgebaut ist und was sie zusammenhält.



Der 1929 geborene Physiker Peter Higgs. Er machte sich Gedanken darüber, warum bestimmte Teilchen eine Masse haben. Nach ihm ist das sogenannte "Gottesteilchen" benannt: Higgs-Boson.



Aus was besteht die Welt?


Zunächst dachte man, dass Atome die kleinsten Bausteine der Materie sind. "Atom" kommt aus dem griechischen und bedeutet "unteilbar". Aber es zeigte sich, dass Atome aus noch kleineren Teilchen zusammengesetzt sind. Diese Bausteine der Atome werden Elementarteilchen genannt. Auch das Elektron, das um Atomkerne kreist und für die Bindung zwischen Atomen sorgt, ist ein Elementarteilchen.


Nach und nach entwickelten die Physiker eine Theorie über die Elementarteilchen, Materie und Energie im Allgemeinen. Sie wird Standardmodell genannt. Damit kann man das Universum und den Aufbau der Materie relativ gut beschreiben - besser als mit jeder anderen bislang aufgestellten Theorie.


Wieso wiegen Elementarteilchen etwas?


Aber auch das Standardmodell ist nicht vollständig: Das heißt, dass es Fragen gibt, die damit noch nicht beantwortet werden können. Dazu gehört die Frage, warum Elementarteilchen eigentlich eine Masse haben. Es ist aber wichtig, dass sie eine Masse haben, weil sonst Materie nicht existieren würde. Es gäbe keine Autos, Häuser, Bäume, Äpfel oder Sterne ...


Elektronen zum Beispiel sind entscheidend für den Zusammenhalt von Molekülen und damit von Materie, wie wir sie kennen. Das geht aber nur, weil die Elektronen Masse haben. Hätten sie keine, wäre das Universum vermutlich nur mit Licht und anderer elektromagnetischer Strahlung erfüllt - wenn es nicht sowieso prinzipiell ganz anders aussähe als jetzt.


Was ist das "Gottesteilchen"?


Nach vielem Nachdenken schlug Peter Higgs 1964 ein neues Teilchen und einen Mechanismus vor, wie das von ihm entdeckte Teilchen anderen Teilchen Masse verleihen könnte. Weil es die Welt erst zu dem macht, was sie ist, wurde auch scherzhaft der Begriff "Gottesteilchen" verwendet.


Wie kann ein Teilchen anderen Teilchen Masse verleihen?


Stell dir vor, du gehst in der Pause durch die Aula deiner Schule. Zunächst bist du alleine, in unserem Gedankenspiel bedeutet das, dass du masselos bist. Dann sehen deine Klassenkameraden dich und kommen auf dich zu. Sie stellen zusammengenommen das Higgs-Feld dar, jeder einzelne entspricht einem Higgs-Teilchen.


Um dich herum sind nun viele Menschen und du kommst nicht mehr so leicht voran. In gewisser Weise bist du jetzt schwerer geworden, hast Masse gewonnen. So ähnlich muss man sich das mit den Higgs-Teilchen vorstellen. Sie bremsen die Bewegung der anderen Teilchen und dadurch bekommen die anderen Teilchen eine Eigenschaft, die wir Masse nennen.


Mit dieser Maschine sucht man nach dem Higgs-Teilchen: der LHC ist ein großer kreisförmiger Tunnel mit 27 Kilometern Umfang in der Nähe von Genf, hier durch den großen Kreis dargestellt.

Wie sucht man nach dem Higgs-Teilchen?


Sollte das Higgs-Teilchen tatsächlich existieren, wäre eine ganz wichtige Frage über das Universum beantwortet. Darum haben sich, seit Peter Higgs 1964 die Idee hatte, auch viele Wissenschaftler auf die Suche nach dem Teilchen gemacht.


Die Suche gestaltete sich aber schwierig. Denn um die Bausteine der Materie zu untersuchen, muss man natürlich ganz tief in die Materie eindringen. Große Objekte kann man mit dem bloßen Auge erkennen. Das geht bis hin zu Staubkörnern.


Für noch kleinere Objekte braucht man Mikroskope. Damit kann man Bakterien und Viren sichtbar machen. Einzelne Atome können mit speziellen Mikroskopen, etwa Rastertunnelmikroskopen, sichtbar gemacht werden.


Um aber in Atome hineinschauen zu können, muss man diese vorher zerschmettern. Stell dir vor, du lässt eine Glasflasche auf den Boden fallen. Sie zerspringt in einige Teile. Wenn du sie aber mit viel Kraft auf den Boden wirfst, dann werden viel mehr kleine Bruchstücke entstehen. Je fester du wirfst, desto kleiner sind die entstehenden Bruchstücke.


Was sind Teilchenbeschleuniger?


Hier siehst du ein wichtiges Bauteil das LHC, einen der vielen Detektoren, mit denen die Bruchstücke der Kollisionen aufgefangen werden. Er wiegt viele Tonnen und ist rund zehn Meter hoch.



So ähnlich macht man das auch mit Atomen. Um Atomkerne zu zerschmettern braucht man spezielle Maschinen, sogenannte Teilchenbeschleuniger. Sie sind sehr kompliziert und brauchen extrem viel Strom.

Außerdem sind auch unglaublich viele Computer nötig, um die Maschine zu steuern und die Ergebnisse aufzuzeichnen und auszuwerten - Menschen alleine könnten das niemals schaffen.


In einem Teilchenbeschleuniger nimmt man Atomkerne, etwa Blei- oder Goldatomkerne, und beschleunigt sie im Kreis, bis sie nahezu die höchste Geschwindigkeit erreicht haben, die im Universum überhaupt möglich ist: Lichtgeschwindigkeit. Ein Teilchenstrahl kreist linksherum, der andere rechtsherum. Schließlich lenkt man die beiden Ströme zusammen und lässt die Teilchen zusammenstoßen.


So sieht eine Kollision im LHC im Computer aus. in der Mitte der gelben Linien kam es zum Zusammenstoßder Teilchenstrahlen, rundherum sind die komplizierten Detektoren in Aktion, um ja kein Bruchstück zu verpassen.

Weil die Teilchen so schnell sind und so viel Energie haben, kommt es dabei zu einem gewaltigen Zusammenstoß und die Atomkerne zersplittern für einen winzigen Sekundenbruchteil in aberwitzig viele Bruchstücke. Diese Bruchstücke, kleiner als Atome, werden von riesigen Detektoren, größer als ein Haus, aufgefangen.


Das hat man in der kompliziertesten Maschine der Welt, dem Teilchenbeschleuniger LHC ("Large Hadron Collider") im Forschungszentrum CERN bei Genf in der Schweiz getan. Der Tunnel des LHC liegt 50 bis 150 Meter unter der Erde und hat einen Umfang von 27 Kilometern.


Der LHC kann die Teilchen besonders kraftvoll aufeinander schleudern. Für weniger als eine Millionstel Sekunde entstehen dabei Bedingungen, wie sie Sekundenbruchteile nach dem Urknall geherrscht haben. Dabei kommt es bis zu 40 Millionen Kollisionen zwischen Atomkernen pro Sekunde.


Hat man das Higgs-Teilchen wirklich gefunden?


Die Detektoren haben dabei Bruchstücke aufgefangen, die auf das Higgs-Teilchen hindeuten. Sehr wahrscheinlich ist also das bislang unbekannte Teilchen entdeckt. Es dauert aber noch, bis die Daten analysiert sind und es zweifelsfrei feststeht, dass das "Gottesteilchen" gefunden wurde. Denn umgerechnet liefern die Detektoren pro Tag rund 40.000 Gigabyte an Daten - so viel, wie auf rund 8.000 DVDs passt!


Sollte sich herausstellen, dass es nicht das Higgs-Teilchen ist, dann ist das auch nicht schlimm. In der Physik gibt es kein richtiges oder falsches Ergebnis. Wenn es nicht das Higgs-Teilchen ist, dann weiß man, dass das Standardmodell so nicht richtig ist. Das wäre auch ein wichtiges Ergebnis. Dann suchen die Wissenschaftler weiter nach einer zutreffenden Beschreibung der Welt.


Denn der Mensch will wissen und verstehen, was die Welt ist und warum sie ist, wie sie ist. Die Forschungen am Allerkleinsten am CERN liefern auch Hinweise auf das Allergrößte, nämlich das Universum selbst und wie Sterne entstehen und vergehen und was es mit der rätselhaften Dunklen Energie und Dunklen Materie auf sich hat, die den größten Teil des Universums zu erfüllen scheinen.


Wer weiß, vielleicht forschst einmal du als Wissenschaftler am Geheimnis der Welt?


Text: -jj- 11.7.2012 // Bilder: Peter Higgs Gert-Martin Greuel cc-by-sa 2.0; Kollision Lucas Taylor/CERN PD; CMS-Detektor Muriel/cc-by-sa 2.0; LHC-Karte Zykure/cc-by-sa 2.0; VLT ESO/ Y. Beletsky cc-by-sa 3.0;

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