Wie funktioniert Bioethik?

Vom 6. bis 8. Oktober findet in Tübingen an der Eberhard-Karls-Universität ein Kongress über Bioethik statt. Forscher und Philosophen diskutieren darüber, welche Grenzen und Regeln für Wissenschaftler und Ärzte gelten sollen, die sich mit Gentechnik, Klonen und medizinischen Fragen beschäftigen.

Der Philosoph Immanuel Kant gilt als der Begründer der Aufklärung: Die Menschen sollen selbst nachdenken und sich nicht von anderen Menschen oder Göttern sagen lassen, wie sie zu handeln haben.

Was ist Ethik überhaupt?

Ethik gehört zur praktischen Philosophie. Praktisch deshalb, weil sie dem Menschen konkrete und begründete Anleitungen für sein tägliches Handeln geben will.

Was ist gutes oder schlechtes Handeln? Was ist gut oder böse? Das klingt theoretisch, aber man kommt oft in Situationen, wo man sich entscheiden muss: Soll ich vom Banknachbarn abschreiben und eine gute, aber unverdiente Note bekommen? Kann ich mir ein Stück vom unbeaufsichtigten Kuchen stibitzen und so tun, als wäre ich es nicht gewesen? Darf ich die 50 Euro, die ich gefunden habe, behalten, oder soll ich sie zum Fundamt bringen?

Was unterscheidet Ethik von Moral?

Moral hat ihren Ursprung oft in einem unbestimmten Gefühl wie Hass, Angst oder Ekel. Moral hängt auch von der Gesellschaft ab, in der man lebt: Sie ist die Summe der Werte und Vorstellungen, die die meisten Menschen für richtig empfinden, ohne dafür weitere Gründe angeben zu können - das was sich "richtig" anfühlt, ist moralisch und das unterscheidet sich von Weltregion zu Weltregion zum Teil erheblich.

Ethik dagegen versucht, die aufgestellten Regeln logisch zu begründen. Ethik kann man auch als Nachdenken über Moral bezeichnen. Weil es in der Wissenschaft und bei der Gesetzgebung um nachvollziehbare Begründungen geht, gibt es also nur eine Bioethik, aber keine Biomoral.

Bioethik geht jeden an

Der Begriff Bioethik klingt sehr trocken. Aber man kann selbst schnell damit zu tun bekommen wenn man zum Beispiel eine schwere Krankheit hat, für die es bisher noch keine gute Therapie gibt. Sollen Ärzte dann alles ausprobieren dürfen, was eine Heilung verspricht? Oder soll eine ältere Frau mit Hilfe künstlicher Befruchtung noch Kinder bekommen dürfen? Und wie weit soll der Mensch Pflanzen und Tiere mit Hilfe der Gentechnik seinen meist wirtschaftlichen Bedürfnissen anpassen dürfen?

Damit der Gesetzgeber entsprechende Regelungen treffen kann, müssen alle Ansichten zu dem Thema diskutiert werden. Werden die Regeln zu eng gesetzt, kann es für Forscher schwierig werden und sie gehen ins Ausland. Dadurch geht Wissen und Wirtschaftskraft verloren. Auch könnten Menschen darunter leiden, weil ihnen medizinische Hilfe etwa in Form von Gentherapie verweigert wird.

Aber werden die Regeln zu weit gesetzt, könnten ebenfalls viele Menschen darunter leiden: 60-jährige Mütter mit Neugeborenen, die dann bald Waisen werden könnten; Menschen, die fragwürdige genetische Experimente über sich ergehen lassen müssten; Konzerne könnten Pflanzen und Lebensmittel beliebig genetisch verändern, mit eventuell schädlichen und unabsehbaren Folgen für Mensch und Umwelt.

Wer sagt, was richtig und falsch ist?

Früher hat man sich auf die Bibel bezogen, um Fragen nach Werten und richtigem Handeln zu beantworten. Spätestens seit Immanuel Kant und der Aufklärung verlassen sich die Menschen aber weniger auf das vermeintliche Wort Gottes, sondern sie versuchen, mit Hilfe ihres Verstandes solche Fragen zu lösen.

Aber jeder Mensch hat unterschiedliche Standpunkte, weil es unterschiedliche Interessen und Vorstellungen gibt: wirtschaftliche, wissenschaftliche oder persönliche, etwa weil man selbst oder ein Verwandter an einer schweren Krankheit leidet. Deshalb diskutieren Philosophen und Forscher in Tübingen, auf welchen gemeinsamen Standpunkt man sich einigen kann.

Kein Glück für alle

Dabei nehmen sie in Kauf, dass es "Glück für alle" nicht gibt. Es wird immer Menschen geben, die unter bestimmten Regeln zu leiden haben. Deshalb findet eine so genannte Güterabwägung statt - man kann auch sagen, es wird nach Kompromissen gesucht.

Das ist bei der Bioethik besonders schwer, weil unsere Werte und Vorstellungen, die meist religiös begründet sind, auf die Möglichkeiten der modernen Technik treffen. Denn der Mensch kann mittels der Gentechnik zum ersten Mal die Grundlagen des Lebens und seiner selbst verändern.

Eine Welt, in der genetische Manipulation an der Tagesordnung ist, wird von Aldous Huxley in dem Roman "Schöne neue Welt" beschrieben.

Hier findest du die Homepage des Kongresses in Tübingen.

Was es mit der Aufklärung und Immanuel Kant auf sich hat, erfährst du hier.

Mehr erfährst du auch in unserem WAS IST WAS-Band 44: Die Bibel oder in unserem WAS IST WAS Band 105: Weltreligionen

Text: -jj- 6.10.2005

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