Prothetik - damals und heute

Am 19. Juli 1917 stellte der Arzt Ferdinand Sauerbruch eine bewegliche Armprothese der Öffentlichkeit vor. Es war eine Revolution in der Versorgung versehrter Menschen. Erstmals konnten sie durch natürliche Muskelbewegungen ihre Prothese steuern. Ob Prothesen heute noch benötigt werden und welche Fortschritte die Technik seit Sauerbruch machte, erfahrt ihr hier ...

Ferdinand Sauerbruch wurde am 3. Juli 1875 in Barmen geboren. Weil der Vater früh verstarb, wuchs Sauerbruch bei seinem Großvater auf. Er studierte Naturwissenschaften an der Universität Marburg und Medizin in Leipzig. 1901 erhielt er seine Approbation (Zulassung) als Arzt.


Bekannt wurde er zunächst durch die Entwicklung einer Methode, wie man am offenen Brustkorb operieren kann. Problematisch dabei ist, dass die Lunge in sich zusammenfallen kann. Sauerbruch löste das Problem, indem er in einer Unterdruckkammer arbeitete.


Der Krieg Vater aller Dinge


Weltweite Berühmtheit erlangte er allerdings durch die Erfindung einer Prothese, dem so genannten Sauerbruch-Arm. Nach dem ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 gab es sehr viele Kriegsversehrte, denen Gliedmaßen, besonders Unterschenkel und Unterarme, fehlten.


Auch wenn der Verlust eines Beines tragisch ist, so kann man damit meist leichter zurechtkommen, als wenn einem ein Arm teilweise oder vollständig fehlt. Viele Verrichtungen des täglichen Lebens sind dann nur noch sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich. Weil es nach dem ersten Weltkrieg so viele Versehrte aus allen Bevölkerungsschichten gab, suchten Ärzte nach einem praktischen Ersatz für die verlorenen Gliedmaßen.


Sonntagshand und Arbeitsklaue


Zunächst gab es nur grobe Hilfsmittel, die für verschiedene Zwecke ausgelegt waren. So gab es eine so genannte Arbeitsklaue und eine Sonntagshand. Die Arbeitsklaue war für praktische Arbeit, also mechanische Blastung ausgelegt, die Sonntagshand diente hauptsächlich ästhetischen Zwecken und sollte eben beim sonntäglichen Kirchgang oder anderen Veranstaltungen den fehlenden Arm kosmetisch ersetzen.


Die Greiffunktion der Prothese war zunächst aber nur möglich, indem die gesunde Hand die Ersatzfinger bewegte und durch einen Mechanismus arretierte. Später entwickelte man Prothesen, die man mittels eines Umschnallbandes durch Schulterbewegungen des gesunden Armes steuerte. Aber man war immer noch sehr eingeschränkt und die Bewegungen wirkten unnatürlich.


Sauerbruchs Arm war richtungsweisend



In früheren Zeiten undenkbar: Relativ feine Steuerungsmöglichkeiten der Prothese



Sauerbruch entwickelte schließlich eine Prothese, zu deren Steuerung man die Restmuskulatur des verletzten Armes verwendete. Ähnliche Ansätze gab es schon im Ausland, das war Sauerbruch damals aber unbekannt. Aus den Muskelenden wurden Schlingen geformt und mit Haut überdeckt. Diese betätigten dann über Seilzüge den Greifmechanismus der Prothese.


Dadurch konnten die Patienten im Gegensatz zu den durch die Schulter gesteuerten Prothesen wieder ein Gefühl für den angefassten Gegenstand entwickeln, also ob er groß oder klein, hart oder weich, leicht oder schwer war. Aber die Prothese war sehr teuer, so dass sie nicht bei der breiten Bevölkerung eingesetzt wurde. Aber die von Sauerbruch entwickelte Technik war richtungsweisend für die Zukunft.


Ahnungslose Opfer



Anklage der Opfer: Ausstellung zu Minen im Museum des Roten Kreuzes und Halbmondes

Leider ist der Bedarf an Prothesen seit den Zeiten Sauerbruchs nicht gesunken. Eine Million Menschen weltweit sind auf Armprothesen angewiesen. Kriege fordern immer wieder viele Opfer, auch und gerade unter der Zivilbevölkerung, und da wiederum besonders bei Kindern. Minen und frei herumliegende Sprengkörper, etwa im Kosovo, in Afghanistan oder in Irak und Palästina wecken oft die Neugier von Kindern. Perfiderweise sehen bestimmte Streubomben der US-Armee Lebensmittelpaketen zum Verwechseln ähnlich. Das kostete und kostet viele Kinder Arme und Beine.


Prothese oder Tuning?


Moderne Prothesen sind richtige High-Tech Produkte. Sie besitzen Mikrocomputer und unterstützen den Träger aktiv, sei es beim Gehen oder Greifen. Besonders beim Gehen ist die Unterstützung wichtig, denn Beinamputierte müssen bis zu 30 Prozent mehr Kraft aufwenden.


Die neuzeitlichen Hilfsmittel nutzen zur Steuerung Muskelimpulse, die mit Elektroden am Stumpf abgenommen werden. Auch Rückkopplung, also Information etwa über die Stärke des Griffs, ist mittlerweile in gewissem Umfang möglich. Solche Prothesen können sich aber im allgemeinen nur Menschen der ersten Welt leisten.


Sportler mit Handicap können heutzutage auch mit Prothesen Höchstleistungen vollbringen. Umstritten ist, ob Prothesen als unerlaubte Hilfsmittel gelten, und ob Prothesen tragende Sportler an regulären Wettkämpfen teilnehmen dürfen.


Mehr über moderne Prothesen erfährst du in diesem Artikel von Technolgy Review"



Wer etwas älter ist, kann sich diese Doktorarbeit zur Geschichte der Prothesen durchlesen

Wenn dich dein Körper und seine Funktionen interessiert, dann wirf doch auch mal einen Blick in unseren WAS IST WAS-Band 50: Der menschliche Körper


Text: -jj- 19.7.2007 // Bilder: Armprothesen Walter Reed USArmy/PD; Ausstellung: Julia Lukmanova/cc-by-sa;

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