Björn: Happy trotz Handicap

Im Rollstuhl und trotzdem glücklich? Für Björn, 31 Jahre, trifft diese Aussage auf jeden Fall zu. Er gehört zu den rund zehn Millionen Menschen in Deutschland, die mit einer amtlich anerkannten Behinderung leben. Als Baby kam er zehn Wochen zu früh zur Welt, deshalb traten einige Störungen auf. Mehr über Björn und sein Leben mit Handicap erzählt uns seine Mutter Doris Hesseler.

Doch stopp: Was heißt eigentlich "behindert"? Von "behindert" spricht man dann, wenn jemand körperlich, seelisch oder geistig insofern eingeschränkt ist, dass ein normales Leben gar nicht oder nur erschwert möglich ist. Menschen mit Behinderung oder ihre Angehörigen selbst mögen das Wort nicht so gern. Sie sprechen lieber von "Menschen mit einem Handicap".  So wie auch Björns Mutter Doris Hesseler.    

Foto: Björn mit seiner Mutter Doris



Frau Hesseler, wie kam es zur Behinderung Ihres Sohnes und wie wirkt sie sich auf sein Anderssein und ihr Leben aus?

 

Björn ist zehn Wochen zu früh geboren. Er musste an viele Apparate angeschlossen werden, um zu überleben. Deshalb ist er behindert und kann nicht laufen. Seine Behinderung nennt sich Tetraspastik. Das bedeutet, der gesamte Körper ist betroffen. Die Spastik schießt in die Muskeln und erschwert die Bewegungsabläufe, weil die Muskeln stark verkrampft sind.  

Björn ist trotzdem ein glücklicher Mensch. Er flitzt gerne mit seinem Elektrorollstuhl. Für unsere Familie ist Björn ein Familienmitglied, wie alle anderen auch.

Wie ging es Ihnen in der neuen Lebenssituation mit einem behinderten Kind? Bekamen Sie Unterstützung von außen?


 

Wir haben uns schnell mit Björns Behinderung abgefunden. Zwei Jahre nach Björns Geburt, wurde seine Schwester Sandra geboren. Die beiden haben gespielt und gezankt, wie alle anderen Kinder auch. Unterstützung bekamen wir von Menschen, die sich speziell um Familien mit Kindern, die anders sind, kümmern. Hier bekamen wir viele Tipps.

Gab es Momente, in denen Sie verzweifelt sind und gedacht haben, sie schaffen das alles nicht mehr?


Ja, die Momente gab es auch. Björn wurde mehrfach operiert, am Herz und im Rücken.  Die Zeit vor den Operationen war für uns alle sehr schlimm. Wir hatten große Angst um Björn.  Ich habe in dieser Zeit viel dafür gebetet, dass er alles gut übersteht.


Wer nicht mit behinderten Menschen zu tun hat, kann sich kaum vorstellen, wie Schwerstbehinderte am Leben teilnehmen und Spaß haben. Bitte klären Sie uns auf!


Foto: Björn mit seiner Schwester Sandra und den Neffen Elias und Joel


Björn ist inzwischen erwachsen. Er geht in die Disco, ins Kino, zum Schwimmen, Pizza essen und auf Festlichkeiten wie alle anderen Menschen auch. Ein Betreuer, der ihn unterstützt, begleitet ihn. Björn hat dabei jede Menge Spaß.

Haben Sie sich durch das Leben mit Ihrem Sohn verändert? Oder anders gefragt: Gibt es etwas, das Sie speziell durch Björn gelernt haben?


 

Ich bin dankbar dafür, dass Björn in unserer Familie lebt. Dass ich über ihn viele Kinder und erwachsene Menschen kennenlernen konnte, die eine Behinderung haben. Diese Menschen mag ich besonders gerne. Gelernt habe ich, dass wir unser Leben nicht planen können. Schwere Zeiten gehören zum Leben, genau wie glückliche und sorglose Zeiten. Das Leben mit Björn hat mich stark gemacht und gelassen.

Wie geht ihr direktes Umfeld mit Ihrem Sohn und der gesamten Situation um?


Unsere Nachbarn, d.h. fast das gesamte Dorf, kennen Björn seit er ein kleines Kind ist. Björn fährt täglich mit seinem Elektrorollstuhl durchs Dorf. Alle behandeln ihn freundlich und unterhalten sich gerne mit ihm. Bei unseren Freunden ist das auch so. Wir unternehmen auch gern gemeinsam Ausflüge mit Björn und unseren Freunden. Ganz normal. Wir sind eine Familie, wie jede andere auch.  

Nichtbehinderte haben oft große Scheu gegenüber Behinderten und wissen nicht genau wie sie mit ihnen umgehen sollen. Haben Sie Tipps?

Menschen mit einem Handicap mögen es gar nicht, wenn sie angestarrt werden. Sie möchten ganz normal behandelt werden, wie alle anderen Menschen auch.



Wie behindertenfreundlich ist Deutschland und was sollte Ihrer Meinung nach  geändert oder verbessert werden?


Deutschland arbeitet daran, ein gutes Land für Menschen mit einem Handicap zu werden. Das war nicht immer so. Behinderte Kinder müssen mit Kindern ohne Handicap aufwachsen dürfen. Getrennte Kindergärten und Schulen sind nicht gut. Gemeinsames Spielen und Lernen ist besser für alle Kinder.

Wie ist Björns Schulzeit verlaufen? Hat er danach eine Berufsausbildung gemacht?

Björn hat eine Schule für Körperbehinderte besucht. Eine Berufsausbildung hat er nicht absolviert. Er arbeitet heute in einer Lebenshilfe-Werkstatt als Fahrer im Förderbereich. Er transportiert auf einer speziellen Ablage, die hinten auf seinen E-Rolli gesteckt wird,  Material vom Lager zum Förderbereich. Außerdem übernimmt er den Brötchendienst. Das heißt, er sammelt die Brötchenbestellungen in den verschiedenen Bereichen und liefert diese nachher aus.

Gibt es etwas, dass Nichtbehinderte von Behinderten lernen können?



Freude im Leben zu haben, auch wenn das Leben oft gar nicht so leicht ist.

Sie haben bereits 3 Bücher geschrieben. Was und wen möchten Sie damit erreichen?



Ich möchte alle Kinder und Erwachsene erreichen. Jeder Mensch hat irgendwann in seinem Leben mit Menschen zu tun, die ein Handicap haben.

Erreichen möchte ich, dass es normal ist, verschieden zu sein.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft für sich und Ihren Sohn?



Dass ich  Björn weiterhin darin unterstützen kann, ein zufriedenes Leben zu führen. Dazu benötige ich viel Kraft, Geduld und Gesundheit.

Liebe Frau Hesseler, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Eines der Bücher, die Frau Hesseler geschrieben hat, trägt den Titel "In mir ist Freude" und berichtet von verschiedenen Familien, die Kinder mit Handicap haben. Es erzählt von der Schwangerschaft, den Gedanken und Gefühlen und vielen individuellen Erlebnissen.

Das Interview führte Nicola Frommhold - 1.12.2011 / Fotos: Doris Hesseler privat  



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