Das Sächsische Seenland

Dort, wo zu DDR-Zeiten Braunkohlegruben die Luft verpesteten, entsteht derzeit eines der größten Freizeit- und Erholungsgebiete Deutschlands. Aus dem früheren Mitteldeutschen Braunkohlerevier wird eine 175 Quadratkilometer große Seenfläche.


Im Nordwesten von Sachsen, im Südosten von Sachsen-Anhalt und dem Nordosten von Thüringen entsteht derzeit eine der größten Seenlandschaften Deutschlands und gleichzeitig Europas größte künstliche Seenlandschaft..

Bergbau und Chemie

In der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte mit der Erschließung der Braunkohle als Brennstoff der ungebremste Verbrauch der betroffenen Landschaft ein. Dazu kam die industrielle Entwicklung, die sich im 20. Jahrhundert mit der in unmittelbarer Nähe befindlichen Standorte der Braunkohle-Chemie noch weiter verstärkte. Bald wurde die Region als Mitteldeutsches Chemiedreieck bezeichnet. Der Name leitet sich vom vorherrschenden Industriezweig in dieser Region - der Chemie- und erdölverarbeitenden Industrie - ab. Eine andere Bezeichnung war Chemiedreieck Leuna-Buna-Bitterfeld, weil diese Standorte die ältesten und prägendsten in der Region waren. Buna ist hier kein Städtename, sondern steht für ein großes Werk, das nach dem in der dortigen Kunststoffherstellung verwendeten Butadien-Natrium benannt ist.

Kriegswichtige Produktion

Mit dem Ersten Weltkrieg steigt Leuna zu einem der bedeutendsten Chemiestandorte Deutschlands auf. Die Region ist ideal zur Herstellung von Ammoniak, vor allem wegen der scheinbar unendlichen Kohlevorräte. Hauptsächlich Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene bauen das Chemiewerk innerhalb eines einzigen Jahres - die größte chemische Fabrik Europas.

Ein Jahr später verlässt  der giftigste bekannte Stoff der damaligen Welt die Leuna-Werke: Phosgen, ein Giftgas, das unter dem harmlos klingenden Namen Grünkreuzkampfstoff firmiert. Ein Tropfen reicht aus, um Hunderte Menschen einen qualvollen Tod sterben zu lassen. Die Machthaber setzten das Gas tatsächlich als Waffe ein.

Auch für das Dritte Reich war die Chemieindustrie enorm wichtig. Um von den künftigen Gegnern unabhängig zu werden, sollten alle bisher vom Ausland eingeführten Rohstoffe synthetisch hergestellt werden. Die Bunawerke in Schkopau wurden zu einem der wichtigsten Bausteine in Hitlers Kriegsplänen. Am 4. April 1945 kommt die Produktion endgültig zum Erliegen.

Plaste und Elaste in der DDR

Die Stunde Null bedeutete für die mitteldeutsche Industrie einen absoluten Neuanfang. Die Petrochemie der DDR war von der Sowjetunion abhängig. "Drushba", also Freundschaft, hieß die Pipeline, die über 3.000 Kilometer hinweg das Öl aus der Sowjetunion direkt bis nach Leuna transportierte. Vier Wochen dauerte das erste Fluten der Leitung. Doch von moderner Technik keine Spur. Die Kunststoffe (Plaste und Elaste) aus Leuna und Schkopau wurden mit uralten Anlagen aus der Vorkriegszeit produziert und voll auf Verschleiß gefahren. Vor dem Zweiten Weltkrieg war Bitterfeld noch ein modernes Industriezentrum gewesen, in Zeiten der späten DDR wurde es zu einem Symbol für die marode Ausstattung der Wirtschaft und gefährliche Umweltverschmutzung. In jenen Jahren trug die Stadt auch den wenig schmeichelhaften Titel "dreckigste Stadt Europas".

Gewaltige Umweltprobleme

Die Gewinnung von Braunkohle im Tagebau ist mit einem immensen Flächenverbrauch verbunden. Um Lagerstätten, entsprechend dem Deutschen Bergrecht, möglichst vollständig hereingewinnen zu können, werden bisweilen ganze Dörfer umgesiedelt. Zur kaputten Landschaft kam noch die Luftverschmutzung, die nicht nur in bräunlich von Kohlenstaub geschwängerter Luft zu sehen, sondern auch deutlich zu riechen war.  Bei der Verfeuerung von Braunkohle entsteht klimaschädliches Kohlendioxid. Braunkohlekraftwerke mit ihrem vergleichsweise niedrigen Wirkungsgrad geben dieses Kohlendioxid nach dem Verbrennungsprozess in die Atmosphäre ab.

Zeit der Wende

Mit der Wende geht der Niedergang der mitteldeutschen Chemieindustrie einher. Noch um 1990 förderten 20 Tagebaue rund 150 Millionen Tonnen Braunkohle, die in zahlreichen Kraftwerken, Brikettfabriken und Schwelereien verstromt oder veredelt wurden. Durch die sich nun ergebenden Industriestilllegungen konnten Menschen, Pflanzen und Natur bildlich gesprochen wieder aufatmen. Natürlich waren die Menschen, die jene Maschinen und Anlagen abbrechen mussten, an welchen sie ein halbes Leben lang gearbeitet hatten, betroffen doch gleichzeitig auch froh, noch arbeiten zu dürfen. Wenn auch der Wegfall vieler Arbeitsplätze vielfach eine enorme Belastung für die Menschen bedeutete, konnte nun daran gedacht werden, die geschundene Region wieder lebenswerter zu machen. Heute verbindet die Straße der Braunkohle die historischen Stätten der Kohlegewinnung, in denen über 100 Sachzeugen zwischen Bitterfeld, Delitzsch, Leipzig, Borna, Altenburg und Zeitz an den Kohleabbau erinnern. In die ehemaligen Industrieanlagen sind Kultur- und Freizeiteinrichtungen eingezogen.

Rückkehr der Natur

Mit milliardenschweren Rekultivierungsleistungen wurde die Bergbaufolgelandschaft um Bitterfeld in eine Seenlandschaft verwandelt, welche heute Wanderern und Wassersportlern ein kleines Paradies beschert. Stück für Stück kann beobachtet werden, wie die Natur ihre alten Narben heilt. Zahlreiche gefährdete Tier- und Pflanzenarten wie Orchideen und Amphibien siedelten sich an.

Derzeit werden in der ganzen Region des künftigen Sächsischen Seenlandes die Kohlegruben geflutet. Am 9. März 2007 war es der Zwenkauer See, eine knappe Woche später, am 15. März der Ilse-See. Auf dem Foto ganz oben sind der Partwitzer See im Vordergrund zu sehen. Im Hintergrund ist der Tagebau Meuro, der spätere Ilse-See zu sehen. (Geierswalder See, Sedlitzer See)

Bis 2018 entsteht hier in Verantwortung der LMBV der acht Quadratkilometer große Ilse-See. Es wird der letzte in einer Reihe von 30 künstlichen Seen im Lausitzer Revier sein: Was in den 1960er Jahren mit der Flutung des Senftenberger Sees begann, wird nun vollendet. Mit dem Ilse-See wird das Lausitzer Seenland über 140 Quadratkilometer Wasserfläche verfügen Europas größte künstliche Seenlandschaft.

Text: RR 2. 4. 2007, Fotos: Peter Radke, Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV)

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