Der Jugendstil erobert Wien

Ende des 19. Jahrhunderts entsteht eine neue Kunstrichtung, die in Deutschland als "Jugendstil", in Frankreich als "Art Nouveau" und in Österreich als Sezession bezeichnet wird. Kennzeichen sind geschwungene Linien, später überwiegend geometrische Ornamente. Die Stilperiode des Jugendstils verdrängt den Historismus des 19. Jahrhunderts und ebnet den Weg in die Moderne. Die Bezeichnung Jugendstil ist vom Titel der Münchener Kunstzeitschrift "Die Jugend" abgeleitet .

Kennzeichen des Jugendstils


Jugendstilfassade in Wien, Architekt Otto Wagner



Der Jugendstil provoziert mit radikaler Vereinfachung in Form und Farbe. Das erklärt sich aus der vorangehenen Stilepoche, dem Historismus, mit seinen üppigen Verzierungen und aufwändigen Ornamenten, die zum Teil an die Gotik oder den Barock angelehnt waren.

Die eleganten Schwünge pflanzlicher Formen werden die Lieblingsornamente des Jugendstil. Das Ornament steht hier im Vordergrund. Charakteristisch sind die Linie, die Schlangenlinie, alles Fließende, Pflanzen, bewegtes Wasser oder Tierdarstellungen wie etwa von Schwänen, die zu einem abstrakten Ornament werden. Es ist eine Flächenkunst, zweidimensional, ohne jede Raumillusion.


Abkehr vom Bestehenden

Nicht zuletzt war es die Suche nach einer neuen Identität in einer sich rasch verändernden Welt, die dem Bestreben der Jugendstilkünstler zu Grunde lag. Die historisierenden Stile wie Neogotik oder Neobarock entsprachen immer weniger dem Zeitgeist vieler Künstler, die nach neuen Ausdrucksformen suchten.

Die Wiener Secession

Eines der Hauptzentren der neuen Kunst ist Wien. Dort schließen sich neunzehn bekannte Künstler zu einer Gruppe zusammen. Sie sagen sich los vom staatlich anerkannten Kunstbetrieb. Das wird auch im Namen der Künstlergruppe deutlich: Sezession. Das ist lateinisch und bedeutet sinngemäß "Abspaltung".

Neue Wege aufzeigen

Sezessionshaus in Wien

Um ihren neuen Kunststil auch nach außen zu präsentieren, legen die Künstler am 26. März 1898 den Grundstein zu ihrem eigenen Haus. Der schlichte weiße Quaderbau mit der halbrunden Kuppel aus leuchtend-goldenem Blattwerk erinnert an eine außerirdische Sternwarte.

Er bekommt den Namen der Künstlergruppe. In der Sezession finden von jetzt an Ausstellungen statt. Das gilt auch heute. Noch immer werden hier Arbeiten moderner, zeitgenössischer Künstler ausgestellt.

Der Jugendstil wird Modetrend

Jugendstil umfasste fast alle Kunstgattungen: von der Architektur über Malerei, Plastik und Literatur, Glas- und Buchkunst. Auch die Musik wagt sich langsam aus ihren bekannten Grenzen. Ausdruckstanz löst das klassische Ballett mit Tutu und Spitzenschuhen ab. Modedesigner befreien das Frauenkleid vom klassischen Symbol gesellschaftlicher Zwänge, dem Korsett. Lebensraum wird zum Kunstraum. Jugendstilarchitekten bauen in den Metropolen Europas U-Bahn-Stationen so elegant wie Opernhäuser.

Innerhalb weniger Jahre ist Jugendstil allgegenwärtig. Doch der Erste Weltkrieg beendet diese Stilepoche. Art Deco, Bauhausstil und Expressionismus lösen sie ab. Erst in den ausgehenden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erlebt der Jugendstil ein Revival und noch heute nimmt so mancher Cafébesucher auf einem typischen Sitzmöbel des Jugendstil, den Nachbildungen der geschwungenen Thonetstühle, Platz.

20.3.03 sw- Fotos: N. Schell, museum online.

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