Wie lernt man Chinesisch?

Eine unserer WAS IST WAS-Lektorinnen ist die Sinologin (Chinakundlerin) Dr. Andrea Beständig. Andrea hat an der Universität im Rahmen ihres Studiums Chinesisch gelernt. Wir fragten sie im Interview wie man Chinesisch lernt und was das Besondere an dieser Sprache ist.

wasistwas.de: Welche der chinesischen Sprachen hast du gelernt?


Foto: Dr. Andrea Beständig

Man lernt die chinesische Hochsprache, die man putonghua nennt. Häufig wird auch Mandarin dazu gesagt, was aber eigentlich nicht ganz richtig ist. Denn Mandarin war wie der Name sagt  die Sprache der Mandarine, also der chinesischen Beamten. Im englischen wird der Begriff noch für die Hochsprache verwendet, was vermutlich der Grund dafür ist, dass er sich auch auf deutsch so hartnäckig hält.


Doch egal, welchen Dialekt man lernt die Schriftzeichen sind immer dieselben, auch beim Kantonesischen, was man schon als eigene Sprache bezeichnen kann. (Kantonesisch wird in Südchina gesprochen, zum Beispiel in Hongkong.)


Jedoch lesen alle dieselben Zeichen. Das heißt, man kann sich schriftlich verständigen, mündlich aber nicht. Man muss sich das vorstellen wir bei Zahlen: der Deutsche sagt eins, zwei, drei ..., der Engländer one, two, three ..., aber wenn man sie als Zahlen geschrieben sieht, nämlich 1, 2, 3, dann verstehen es beide.


wasistwas.de: Warum ist das Chinesische (für Europäer) schwieriger zu erlernen als z. B. Englisch?


Bild: In dieser Reihenfolge wird das chinesische Schriftzeichen gui (Schildkröte) geschrieben.

Das Schwierige am Chinesischen sind die vielen Tausend Schriftzeichen, die man sich einprägen muss. Aber die machen natürlich gleichzeitig den Reiz aus! Und man muss sich nicht nur die Aussprache, die Schreibweise und die Bedeutung merken, wie beim Englischen, sondern auch noch die Reihenfolge, in der ein Zeichen geschrieben wird.


Außerdem ergibt sich im Chinesischen die Aussprache nicht aus der Schreibweise, wie es bei einer Buchstabenschrift der Fall ist. Man muss schon sehr gut Chinesisch können, um in etwa zu wissen, wie ein fremdes Schriftzeichen ausgesprochen wird. Und umgekehrt ist es sogar noch schwieriger oder sogar unmöglich: Man kann nicht von der Aussprache eines fremden Schriftzeichens auf dessen exakte Schreibweise schließen.


Das Schriftzeichen links heißt "ma" (1.Ton, siehe weiter unten) und bedeutet Mutter, das Schriftzeichen rechts heißt "mà" (4.Ton) und bedeutet schimpfen.

Hinzu kommt, dass sehr viele Zeichen gleich ausgesprochen werden und man nur durch das Schriftzeichen erkennt, um welche Bedeutung es sich handelt. Besonders schwierig ist es, als Chinesisch-Anfänger ein Wörterbuch zu benutzen: Wenn man weiß, wie ein Zeichen ausgesprochen wird, kann man nach dem Alphabet suchen, weil die Zeichen in Umschrift alphabetisch sortiert sind. Wenn man die Aussprache aber nicht kennt, muss man die Striche nach einem bestimmten System zählen, und dafür braucht man ein bisschen Übung.


wasistwas.de: In welchen Schritten geht man beim Lernen des Chinesischen vor? Lernt man erst das Sprechen oder erst das Schreiben oder beides gleichzeitig?


Am besten lernt man beides gleichzeitig. Es gibt zwar eine Umschrift mit lateinischen Buchstaben also unserem Alphabet aber dadurch dass so viele Zeichen gleich klingen, fand ich persönlich es sehr schwierig, die Bedeutungen zu unterscheiden. Sobald man die Zeichen dazu kennt, und sozusagen vor seinem geistigen Auge sieht, ist das viel einfacher. Ich konnte mir die Zeichen am besten einprägen, wenn ich mir beim Schreiben die Aussprache vorgesprochen habe  was meine Mitbewohner sehr amüsant fanden.




wasistwas.de: Warum kommt es beim Sprechen des Chinesischen auch auf die richtige Tonhöhe an?


Links: Diese vier Töne unterscheidet man im Chinesischen.

Im Chinesischen gibt es nur eine sehr begrenzte Anzahl von Silben. Ausgeglichen wird das durch mehrere Töne. Ein ma im ersten Ton mit gleichbleibender Tonhöhe bedeutet zum Beispiel Mama, ein ma im vierten Ton mit einer Tonhöhe von oben nach unten, bedeutet schimpfen.




wasistwas.de: Wie lange hat es gedauert, bis du dich auf Chinesisch in einfachen Alltagssituationen verständlich machen konntest?


Foto: Einkaufsstraße in Kowloon in Hongkong.

Ich war nach einem halben Jahr Chinesischkurs bei einer chinesischen Familie zu Besuch und konnte fast nichts sagen, war aber sehr stolz, dass sie die wenigen Worte, die ich sagte, tatsächlich verstanden haben. Bis man ein einfaches Gespräch führen kann, dauert es mindestens ein Jahr, wobei es natürlich darauf ankommt, wie viele Stunden Sprachunterricht man pro Woche hat. An der Uni ist der Stundenplan mit 14 Stunden sehr dicht.


Je früher man Kontakt zu Muttersprachlern hat, desto besser, denn da lernt man viel schneller als mit einem Lehrbuch. Viele Deutsche haben mit der Aussprache und der Unterscheidung der Töne große Probleme, so dass sie von Chinesen nicht verstanden werden. Vor allem, wenn man keinen ganzen Satz sagt, sondern zum Beispiel einem Taxifahrer nur ein Ziel nennt, zu dem man gebracht werden möchte.


Foto: Aufkleber auf chinesischem Bus.

Die Aussprache und die Töne sind das A und O, wenn man sich mit Chinesen unterhalten möchte. Daher kann ich nur empfehlen, möglichst früh mit Chinesen zu sprechen.




wasistwas.de: Wie viele Wörter muss man beherrschen, um eine chinesische Tageszeitung lesen zu können?


Man sagt immer, um die 5.000. Nachgezählt habe ich sie nicht, ich finde, das ist schwierig zu sagen. Es kommt ganz darauf an, um welches Thema es geht. Wenn man sich in einen Bereich gut eingearbeitet hat, z.B. wirtschaftliche Themen, kennt man irgendwann die wichtigsten Vokabeln und kommt gut durch einen solchen Artikel. Liest man dann aber einen Artikel zu einem anderen Fachgebiet, muss man sich neu einarbeiten.


wasistwas.de: Wie schreibt man Chinesisch am Computer?


Das Schriftzeichen links heißt shì und bedeutet sein, das Schriftzeichen rechts heißt shí und bedeutet zehn.

Es gibt Textverarbeitungsprogramme für Chinesisch ­ mittlerweile funktioniert das auch mit einem ganz normalen Textverarbeitungsprogramm wie Word. Man nutzt die chinesische Umschrift und bekommt dann eine Auswahl angezeigt mit all den Zeichen, die so ausgesprochen werden. Bei dem Beispiel von oben könnte ich also ma eintippen und bekäme das Zeichen für Mutter, für schimpfen und einige mehr. Da es Silben gibt, für die es unzählige Zeichen gibt, z.B. shi, kann man bei manchen Programmen auch den Ton mit angeben durch eine 1, 2, 3 oder 4 dahinter, um so die Auswahl einzugrenze.


wasistwas.de: Gibt es auch irgendetwas, das im Chinesischen einfacher ist als im Deutschen/Englischen?


Die Schriftzeichen links und rechts spricht man beide "shì", das linke steht für "Stadt" das rechte für "stechen" (z. B. eine Mücke sticht).

Ja, die Grammatik. Es gibt keine Veränderung der Verbformen und keine Fälle. Es gibt also zum Beispiel ein Zeichen mit der Bedeutung gehen, und das bleibt immer gleich, egal ob du gehst, er geht, wir gehen etc. Man setzt einfach ich, du, er davor. Schwierig aber ist die Satzstellung.


wasistwas.de: Was findest du am Chinesischen besonders reizvoll?


Ich fand die Schriftzeichen schon immer faszinierend. Ich hatte mal ein Programmheft vom Chinesischen Staatszirkus, auf dem einige Schriftzeichen und ein deutscher Text standen. Ich wollte herausfinden, ob man ein System erkennen kann was mir aber natürlich nicht gelungen ist.


Rechts: Seite aus einem chinesisch-deutschen Wörterbuch.

Daraufhin habe ich mir ein Chinesisch-Lehrbuch aus der Bücherei ausgeliehen. Weit bin ich nicht gekommen, aber ich hatte Blut geleckt. (Wenn man selbst anfangen möchte, Chinesisch zu lernen, sollte man aber auf jeden Fall eine Kassette oder CD verwenden, um die Aussprache zu lernen. Denn da bringt man sich ansonsten leicht etwas Falsches bei.)


Und die Zeichen finde ich bis heute toll! Erst wenn man die Sprache ein bisschen kennt, versteht man auch die Kultur besser. Wenn man durch China reist und Chinesisch spricht, öffnen sich viele Türen. Chinesen sind total begeistert, wenn sie auf Ausländer treffen, die ihre Sprache sprechen.

wasistwas.de: Vielen Dank für das Interview.

Mehr über die chinesische Geschichte erfahrt ihr im WAS IST WAS Band 109 Das alte China.

Das Interview führte: Liane Manseicher, 13.08.08; Fotos: Töne: GFDL: Klugbeisser; Beijing: Olaf Studt: pd; Schriftrichtung gui: cc-by-sa; Einkaufsstraße in Kowloon: Angel Riesco Martinez:cc-by-sa; Wörterbuchseite und Schriftzeichen: Tessloff Archiv.

Hinweis: Im Archiv wurden alle Bilder und Links entfernt