Warum braucht man eine Rechtschreibreform?

Vor 110 Jahren trafen sich in Berlin Gesandte aller deutschen Länder, um über eine einheitliche Rechtschreibung zu diskutieren. Die Beschlüsse, die auf dieser Konferenz 1901 gefasst wurden, können als erste deutsche Rechtschreibreform angesehen werden.

"Arbeit giebt Brod" - heute wäre dieser Spruch an einem Haus völlig falsch geschrieben.

Geeintes Reich geeinte Schrift?


Im Jahr 1871 wurde das Deutsche Kaiserreich aus 25 deutschen Ländern gegründet. Damit gab es zum ersten Mal in der Geschichte einen deutschen Einheitsstaat. Zuvor hatten nur lose Staatenbunde aus verschiedenen Königreichen, Fürsten- und Herzogtümern ohne übergeordnete staatliche Gesetzgebung existiert.


Weil damals jeder Herrscher seinen eigenen Machtanspruch durchsetzen wollte, existierte auch in jedem Gebiet ein anderer Gebrauch der deutschen Sprache. In jedem Land wurde anders geschrieben und es galten andere Regeln. Das war natürlich ziemlich verwirrend und führte nicht selten zu Missverständnissen, wenn man von einem Fürstentum in ein anderes schrieb.


Bayern brachte schon 1879 sein eigenes Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung heraus.



Der erste Versuch


Schon kurz nach der Reichsgründung war man sich im jungen Reich einig, dass man einheitliche Bestimmungen für die Rechtschreibung braucht. Allein schon wegen der neu geschaffenen Vereinigung Deutschlands. 1876 traf man sich in Berlin zur ersten Orthografischen Konferenz, um über eine Vereinheitlichung der deutschen Sprache zu entscheiden.


Die Vorschläge, die gemacht wurden, erkannte jedoch kaum ein Land an - niemand wollte seine alten Gewohnheiten ablegen. Bayern, Preußen und auch Österreich legten in den folgenden Jahren ihre eigenen Rechtschreibregeln fest. 1880 bracht Konrad Duden sein Wörterbuch heraus, den Duden.


Konrad Duden hatte mit seinem Wörterbuch den wichtigen Grundstein für die Reform von 1901 gelegt.

Wann kam es zur Reform?


1901 also 30 Jahre nach der Reichsgründung wollte man einen neuen Versuch zur Einigung der Sprache im Deutschen Reich wagen. Vom 17. bis 20. Juni trafen sich Vertreter der Länder sowie einige Experten wie beispielsweise Konrad Duden in Berlin. Die gefassten Beschlüsse bauten auf Dudens Wörterbuch und dem preußischen Regelschulwerk auf.


So wurde zum Beispiel das th in Wörtern wie Tür (vorher oft Thür) gestrichen. Auch das ß am Ende von Wörtern wie Geheimnis (zuvor oft Geheimniß) wurde aus der Sprache verbannt. Viele Fremdwörter wurden eingedeutscht (aus Accent wurde Akzent, oder aus Liqueur wurde Likör). Allerdings wurden auch viele Doppelformen akzeptiert. Brenn(n)essel konnte man mit zwei oder mit drei n schreiben.



 Selbst der deutsche Kaiser Wilhelm II. konnte sich lange nicht an die neue Rechtschreibung gewöhnen.



Warum war die Rechtschreibreform wichtig?


Die Rechtschreibreform von 1901 war deshalb wichtig, weil sie zum ersten Mal in der Geschichte ein einheitliches Regelwerk für alle deutschsprachigen Gebiete darstellte. Auch Österreich und die Schweiz übernahmen die Reform. Nun herrschte endlich Einigkeit in der Rechtschreibung und es kam zu weniger Missverständnissen. Sie blieb in ihrer Form bis 1996 bestehen, als eine neue Reform verabschiedet wurde.


Natürlich war die Reform für viele Menschen eine Umstellung, weil sie nun Worte anders schreiben mussten, die sie ihr Leben lang auf ihre Weise benutzt hatten. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. bestand darauf, dass jedes ihm vorgesetzte Schriftstück in der ihm bekannten alten Rechtschreibung verfasst sein musste. Aber auch bei den heutigen Rechtschreibreformen gibt es viele Kritiker und Gegner, die über den Sinn weiterer Reformen streiten.




16.06.2011 // Text: Jan Wrede; Bilder: Wohnhausdetail: Richard Huber (cc-by-sa 3.0), Bayerisches Regelbuch & Duden: Merker Berlin (pd), Kaiser: (pd), Vorschau: Tom Murphy VII (GNU 1.2, cc-by-sa 2.0, 3.0)

Hinweis: Im Archiv wurden alle Bilder und Links entfernt