Tolstoi: Hauptvertreter des russischen Realismus

«Tolstoi, das ist die ganze Welt. Das ist ein Mensch, der wahrhaft eine große Sache vollendet hat: Er gab das Ergebnis des in einem Jahrhundert Erlebten und drückt es mit erstaunlicher Wahrheit, Kraft und Schönheit aus. » Maxim Gorki

Tolstois Schriftstellerkollege und enger Vertrauter Maxim Gorki fasste die Bewunderung der Russen für ihren Nationaldichter in diesem schönen Zitat zusammen. Leo Tolstoi gilt bis heute als der größte russische Schriftsteller überhaupt. Vor allem sein großangelegter historischer und geschichtsphilosophischer Roman Krieg und Frieden sowie der tragische Eheroman Anna Karenina gehören zu den wichtigsten Büchern des 19. Jahrhunderts.

Charakterstudien waren seine Stärke

Bereits zu Lebzeiten wurde der schriftstellernde Graf im In- und Ausland verehrt. Damals wie heute schätzen die Leser an Tolstoi, mit welcher Genauigkeit und Lebendigkeit er die Realität des 19. Jahrhunderts einfing und in Worte fasste. Die Charakterisierung der Figuren war ihm dabei besonders wichtig. Die Art und Weise, wie der Russe seelische Zustände beschrieb, machten ihn zum Hauptvertreter des so genannten psychologischen Realismus.

Der junge Graf

Tolstoi kam am 9. September 1828 zur Welt. Bereits als er zwei Jahre alt war starb seine Mutter, sieben Jahre später der Vater. Da der junge Leo jedoch einem Adelsgeschlecht entstammte und die Eltern ein großes Landgut besaßen, war er finanziell gut gestellt. Von weiblichen Verwandten groß gezogen, besuchte Tolstoi schon mit 15 die Universität, studierte orientalische Sprachen und Recht.

Auf dem Gipfel des Ruhms

Wie es sich damals für einen jungen Adeligen gehörte, strebte Leo Tolstoi eine militärische Karriere an. Er nahm an zahlreichen Schlachten und Belagerungen teil Erlebnisse, die später in seine zahlreichen Romane und Erzählungen einflossen. 1862 heiratete der Dichter Anna Sophia Andrejevna. Sie spornte seine Schaffenskraft an, tippte seine Manuskripte ins Reine und gab dem genialen Schriftsteller den für seine Arbeit nötigen inneren Frieden. In dieser Zeit entstanden "Krieg und Frieden" (1868/69) und "Anna Karenina" (1878).

Schwere Lebenskrise

Nachdem Tolstoi seine heute bekanntesten Hauptwerke abgeschlossen hatte, geriet er in eine schwere Lebenskrise. Der wohlhabende Graf sah in seinem bisherigen Dasein keinen Sinn mehr: er verteilte sein Vermögen an die Familie, verließ Frau und Kinder, um fortan als einfacher Bauer zu leben und zu arbeiten. Tolstoi entwickelte eine Lehre der Gewaltlosigkeit, ernährte sich streng vegetarisch und begann offen Staat und Kirche zu kritisieren, was 1901 zu seiner Exkommunizierung führte.

Nobelpreis - abgelehnt!

Selbst den ihm zugedachten Nobelpreis lehnte Tolstoi 1901 ab. Obwohl er noch Kontakt zu seiner Familie pflegte, hatte er unter sein vergangenes Leben einen Schlussstrich gesetzt. Nach kurzem Aufenthalt in einem Kloster erkrankte der ehemalige Dichter 1910 schwer und starb am 7. November während einer Eisenbahnreise. Sein Ansehen ist bis heute ungebrochen.

Nic 09.09.2003 / Foto: Reclam Verlag

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