"Götz von Berlichingen": Der Durchbruch für J. W. v. Goethe

Neben Schillers Räubern gilt Goethes Götz von Berlichingen als Paradebeispiel der Sturm-und-Drang-Dramatik. Als das Schauspiel um den edlen Ritter mit der eisernen Hand am 12. April 1774 in Berlin uraufgeführt wurde, kannte kaum jemand den jungen Rechtsgelehrten, der später als deutscher Dichterfürst in die Geschichte eingehen sollte. Es war Goethes erstes Bühnenstück und auf Anhieb ein Publikumserfolg.

Das Drama über Götz von Berlichingen, der im 16. Jahrhundert tatsächlich gelebt hat, erzählt die Lebensgeschichte eines edlen Raubritters, der an den Umständen seiner Zeit zerbricht und durch Verschwörungen und Intrigen zugrunde gerichtet wird. Seine alten Werte möchte er nicht aufgeben, die Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit vermag er nicht zu übertreten. Stirb, Götz du hast dich selbst überlebt! heißt es dann auch im dramatischen Finale des Stücks.

Charakterstudie

Goethe faszinierte an dem Stoff nicht nur die mittelalterliche Geschichte und das ritterliche Fehdewesen. Als Dichter legte er besonderen Augenmerk auf den Charakter des Götz: zerrissen zwischen der Freiheit des Einzelnen und den Zwängen der Gesellschaft für den Dichter der dramatische Konflikt schlechthin. Goethe schrieb die Urfassung 1771 in nur sechs Wochen nieder, straffte das Schauspiel auf Anraten seines Geschichtsprofessors Herder und ließ es 1773 im Selbstverlag drucken.

Überraschungserfolg

Der Autor selbst hatte sich kaum Chancen ausgerechnet, den Götz jemals auf einer Theaterbühne zu sehen. Er hielt das Drama sogar für unaufführbar. Ständige Ortswechsel, Zeitsprünge, üppige Schlachtszenen, ein fast unüberschaubares Personal und verschiedene Sprach- und Dialektebenen der Figuren - nicht gerade das, was das Theaterpublikum des späten 18. Jahrhunderts gewöhnt war.

Doch die Zuschauer honorierten, dass Goethe einen echten, deutschen Helden auf die Bühne stellte. Noch dazu aus dem Mittelalter, das damals im Zentrum des historischen Interesses stand. Für das bürgerliche Theaterpublikum bot der Götz insofern Abwechslung, da es weil Frankreich in Adelskreisen als kulturelles Vorbild diente - vor allem französische Tragödien und Schäferspiele zu sehen bekam. Diese Bühnenstücke wirkten oft gestelzt und unnatürlich, weil sich die dramatische Handlung ohne größere Ortwechsel innerhalb von 24 Stunden vollziehen musste. So verlangten es die Regeln der französischen Klassik nach dem Vorbild des Griechen Aristoteles.

Allen Regeln zum Trotz

Hatte bereits Lessing die strenge Regelpoetik der Franzosen bemängelt und die Einheit von Ort und Zeit in seinen eigenen Dramen außer Kraft gesetzt, so vollzog Goethe diesen Bruch jetzt radikal. Sein Vorbild: kein Geringerer als William Shakespeare. Der berühmte englische Dramatiker wurde von allen Stürmern und Drängern als Genie verherrlicht und eifrig nachgeahmt.

Shakespeare als Vorbild

Goethe pries an den Werken des Briten vor allem die glaubwürdigen Charaktere (Natur, Natur, nichts so Natur als Shakespeares Menschen!) und bezeichnete die Stücke der französischen Klassik als Verirrungen des schlechten Geschmacks. Die lästigen Fesseln der drei Einheiten streifte er in seinem Götz völlig ab. Das Stück ist zwar noch locker durch die Fünf-Akte-Struktur zusammengehalten, zerfällt aber in unzählige Einzelszenen, die oft nur aus kurzen Wortwechseln bestehen.

Festpiele in Jagsthausen

Die Wirkung des Götz auf die Literatur des Sturm und Drang und den Theaterbetrieb der Zeit war enorm. Nicht weniger als 38 Geschichtsdramen wurden innerhalb kürzester Zeit verfasst, um dem neuen Modetrend gerecht zu werden. Doch nur der Götz überlebte und inspirierte Dichter wie Schiller, Lenz oder Georg Büchner zu ihren dramatischen Werken. Das Gedenken an den historischen Götz wird bis heute bei den jährlichen Festspielen auf der Götzenburg in Jagsthausen lebendig gehalten.

Nic 07.04.2004 / Buchcover: Suhrkamp Basis Bibliothek

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