Emile Zola: Literatur als Wissenschaft

Ohne Emile Zola wäre der europäische Naturalismus nicht vorstellbar. Mit seinem krassen Realismus, detailgetreuen Milieuschilderungen und bildreicher Sprache machte der Franzose auch das Abstoßende und Hässliche in der Literatur zum Thema. Und wurde damit gerade für deutsche Autoren wie Gerhart Hauptmann zum wichtigen Vorbild. Am 29. September ist sein 100. Todestag.

Hätten Zolas Lehrer gewusst, welchen Ruhm ihr Zögling ausgerechnet einmal in der schreibenden Zunft ernten würde, sie hätten es nicht geglaubt! Zweimal rasselte der am 2. April 1840 geborene Sohn eines Bauingenieurs durch die Literaturprüfung des Abiturs. Das konnte den jungen Pariser jedoch nicht davon abhalten, als Journalist sein Brot zu verdienen.

Realismus statt Romantik

Bei dieser Tätigkeit lernte Zola vor allem eines: genau beobachten. Das kam ihm später auch bei seinen literarischen Arbeiten zugute. 1865 begann er sich mit Literatur- und Kunstkritiken über Wasser zu halten und erste Gedichte und Erzählungen zu verfassen. Mit fiktiven Stoffen - wie etwa die vorausgehenden Romantiker - konnte der junge Schriftsteller allerdings nicht viel anfangen. Er wollte die Wirklichkeit beschreiben ja viel mehr noch er wollte sie analysieren, bis ins Detail sezieren.

Eine wissenschaftliche Analyse

Nach dem Überraschungserfolg seines Debütromans über das Hausmädchen Thér¨se Raquin machte er sich auf Grundlage der neuesten sozial- und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse ans Werk. Es sollte sein Lebenswerk werden: der 20bändige Romanzyklus Les Rougon Macquart (1871 1893) schildert die Geschichte über den Verfall einer Pariser Familie über Generationen hinweg.

Die Gesellschaft als Studienobjekt

Pate standen bei diesem Mammutprojekt die Vererbungslehre nach Charles Darwin, die Milieutheorie von Hippolyte Taine, die positivistische Philosophie von Auguste Comte und die Experimentalmedizin von Claude Bernard. All diese Theorien lassen sich verkürzt und stark vereinfacht so zusammenfassen, dass der Mensch durch ererbte und soziale Faktoren geprägt ist, denen er nicht entfliehen kann.

Der vierte Stand wird salonfähig

Realitätsversessen und ungeschönt schilderte Zola die Nachseiten des bürgerlichen Lebens in Paris: Kriminalität, Prostitution und Erbkrankheiten lässt er ebenso wenig aus wie das Elend des Industrieproletariats, des Kleinbürgertums, der Ausgestoßenen. Ihm ist es zu verdanken, dass der so genannte vierte Stand (die Kleinbürger) in der Literatur überhaupt salonfähig wurde. Nicht unbedingt zur Freude der an schöngeistigem Lesefutter interessierten Gesellschaft dafür umso mehr zur Begeisterung von Kollegen aus dem In- und Ausland, die Zolas Arbeiten begierig aufsogen und nachahmten.

Im In- und Ausland verehrt

In einem Landhaus bei Paris scharte Emile Zola eine Gruppe von Autoren um sich, die bald als naturalistischer Kreis angesehen wird. Von der Literaturszene im deutschsprachigen Raum wurde der hochverehrte Franzose vor allem für seine theoretische Schrift Der Experimental-

roman (1881) geschätzt. Die darin propagierte Forderung, dass Kunst wirklichkeitstreu wie eine Wissenschaft betrieben werden soll, wurde z.B. von Arno Holz aufgegriffen und weiterentwickelt. Auch Gerhart Hauptmann ließ sich in seiner Frühphase extrem von Zola beeinflussen.

Zola mischt sich ein

Zum Verhängnis wurde es für Zola, als er sich 1898 mit seinem politischen Zeitungskommentar J`accuse ("Ich klage an) in die so genannte Dreyfus-Affäre einmischte. Darin stellte er sich bewusst auf die Seite eines jüdischen Hauptmanns, der von der Armee zu unrecht des Landesverrats beschuldigt wurde. Damals, als Antisemitismus nichts Ungewöhnliches war, eine ausgesprochen mutige Aktion, die nicht ohne Folgen blieb. Zola wird wegen Beleidigung des Militärs zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Er entzog sich jedoch der Verurteilung indem er nach England floh.

Typ des modernen Intellektuellen

Im Alter von 62 Jahren stirbt Zola, inzwischen wieder in Frankreich, an einer Kohlenmonoxidvergiftung, ausgelöst durch einen nicht richtig funktionierenden Kaminabzug. Sein Leichnam wird im Pantheon beigesetzt der Ruhestätte für besonders bedeutende Franzosen. Emile Zola war also schon zu Lebzeiten ein überaus anerkannter Mann. Er wurde nicht nur als Autor, Kritiker und Literaturtheoretiker geschätzt, sondern auch als Inbegriff des modernen Intellektuellen, der in Gegenwartsdiskussionen engagiert Stellung bezieht.

26.09.2002 - Fotos und Text: Nic

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