Seepferdchen in der Nordsee?

Als der Krabbenfischer Manfred Sopha am 1. Juli 2003 seine Netze vor St. Peter Ording einholte, staunte er nicht schlecht. Inmitten tausender Krabben zappelte ein Seepferdchen. Ein sensationeller Fund, denn in unseren Breiten gelten die drolligen Tierchen als ausgestorben. Nun lebt der kleine Findling "St. Petra" im Multimar Wattforum Tönning, wo man sich fürsorglich um ihn kümmert.

Darf man hoffen?

St. Petra ist nicht der erste Seepferdchen-Fund in der Nordsee. Schon 2001 ging Pelle einem Krabben- fischer ins Netz. Auch er fand im Multimar Wattforum ein neues Zuhause und musste zunächst mühevoll aufgepäppelt werden. Bei Pelle und St. Petra handelt es sich um so genannte kurzschnäuzige Seepferd- chen. Früher kamen sie in den Seegraswiesen des Wattenmeers recht häufig vor.

Durch eine Pilzinfektion in den dreißiger Jahren verschwanden die Nordsee-Seegraswiesen fast völlig von unserer Bildfläche und mit ihnen die Seepferdchen. Denn: Die Unterwasser- wiesen waren ihr Lebensraum. Sie boten den Seepferdchen, die keine großen Schwimmer sind, den nötigen Halt, um nicht mit den starken Nordseeströmungen davonzutreiben.

Seegraswiesen gibt es heute nur noch im Gezeitenbereich der Nordsee. Da dieser Bereich aufgrund von Ebbe und Flut zweimal täglich trocken liegt, ist er für Seepferdchen als Lebensraum ungeeignet. Die Seegras- wiesen der Nordsee nehmen jedoch langsam wieder zu. Das heißt, in naher Zukunft könnten die Seepferdchen wieder bei uns sesshaft werden.

St. Petra und Pelle entspringen vermutlich den Gewässern vor Portugal oder Spanien. Dort gibt es genügend Seegraswiesen und die Zahl der Seepferdchen stieg in den letzten Jahren immer weiter an. Die zwei Findlinge sind wohl mit der Strömung durch den Ärmelkanal (zwischen Europa und England) in die Nordsee gelangt.

Seepferdchen der etwas andere Fisch

Nur die Flossen an Rücken und Brust lassen erahnen, dass die Wesen mit dem pferdeähnlichen Kopf (daher ihr Name) zu den Fischen gehören. Mit Hilfe schneller Schläge der Rückenflosse schwimmen sie aufrecht durch die Meere, gelenkt wird mit den Brustflossen. Eine Schwanzflosse fehlt den Seepferdchen. Stattdessen besitzen sie einen beweglichen Schwanz, mit dem sie sich an Seegras und Tang festhalten können. Ohne ihn würden sie bei stärkerer Strömung sofort wegdriften. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 1,6 Kilometern pro Stunde gehören die Seepferdchen zu den langsamsten Fischen.

Nach den letzten Zählungen sind 32 Arten weltweit bekannt. Jederzeit könnten aber neue Arten entdeckt werden. Kein Wunder, denn einige Arten sind echte Winzlinge. So hat man das kleinste Seepferdchen der Welt, das so genannte Pygmäen-Seepferdchen, mit seinen 16 Milli- metern Körpergröße lange Zeit für Nachwuchs gehalten. Kurzschnäuzige Seepferdchen wie St. Petra und Pelle erreichen im Erwachsenenalter eine Länge von maximal 15 cm. Die größte Seepferdchenart, das Pazifik-Seepferdchen, erreicht dagegen bis zu 30 cm. Seepferdchen werden zwischen einem und sechs Jahren alt.

Viele Seepferdchen können ihre Körperfarben dem Bodengrund bzw. ihrer Umgebung anpassen, wodurch sie für Beute und Feinde nur schwer auszumachen sind. Die kurzschnäuzigen Seepferdchen können dies nicht. Sie sind aber durch ihre schwarzbraune Färbung inmitten der Seegraswiesen ausreichend getarnt. Wer meint, Seepferdchen seien zart und zerbrechlich, der liegt übrigens falsch. Im Maul von Unterwas- serräubern entpuppen sie sich als harte Brocken, denn ihr Körper ist durch Knochenplatten geschützt.

Seepferdchen sind sehr gefräßig und saugen mit ihrem röhrenförmigen Maul jede Beute ein, die sich ihnen bis auf mehr als 3 cm nähert. Dabei brauchen sie nicht einmal Zähne. Vor allen Dingen Fischbrut oder Mini-Krebschen stehen auf ihrem Speiseplan. Wie Chamäleons können sie ihre Augen unabhängig voneinander bewegen und so ihr Umfeld samt Beute gut im Blick behalten.

Tierische Superpapis

Pelle mit dickem Bauch.

Als wäre all dies noch nicht genug, halten die Seepferdchen eine weitere Überraschung für uns bereit: Kinderkriegen ist bei ihnen Männersache. Zur Paarungszeit legen die Weibchen etwa 200 Eier in eine Bruttasche vorne am Bauch des Männchens, wo sie befruchtet werden. Vier bis sechs Wochen später schlüpfen die Jungen und nun ist das Männchen gefragt. Unter krampfartigen Wehen bringt er die wenigen Millimeter großen Seefohlen zur Welt. Schon einen Tag nach der anstrengenden Geburt kann das Männchen wieder schwanger werden.

Auch Pelle, der sein Becken im Multimar Wattforum mit einer See- pferdchen-Dame teilt, ist bereits 200-facher Vater. Die Mini-Seepferd- chen erblickten am 27. Juni 2002 das Licht der Welt und dürften mittlerweile schon ein beträchtliches Stück gewachsen sein.

Seepferdchen in Gefahr

Weltweit schrumpfen die Bestände der Seepferdchen zusehends. Dreißig (von 32) Arten stehen bereits auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere. Die Gründe hierfür sind vielfältig:

Hunderttausende enden als Souvenirs für Touristen. Sie kaufen die getrockneten Seepferdchen als süßes Andenken an ihren Urlaub. Eine weitaus größere Gefahr geht aber von der chinesischen Medizin aus. Sie verarbeitet pro Jahr 20 Millionen Seepferdchen zu teuren Mittelchen gegen alle möglichen Krankheiten wie Asthma oder Herzbeschwerden. Etliche Tiere werden auch extra für Fischliebhaber gefangen, die sie dann in Aquarien halten.

Zum Glück gibt es aber Organisationen, die sich aktiv für den Schutz der faszinierenden Tiere einsetzen. Sie richten Schutzgebiete ein, bitten Fischer, ihren Fang sorgsam zu sortieren, halten trächtige Männchen in Aquarien, bis der Nachwuchs geschlüpft ist, und suchen für die Anhänger der chinesischen Medizin nach Alternativen zum Fang von wildlebenden Seepferdchen.

Mehr Informationen über St. Petra und Pelle erhaltet ihr auf den Seiten des Multimar Wattforums.

19.07.2003 Marion Dimitriadou, Fotos: Multimar Wattforum Tönning

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