Fragen zum Seehundstaupevirus

Das Seehundstaupevirus scheint sich bedrohlich unter den Tieren des Wattenmeeres auszubreiten. Annette Bauermann die Expertin und Referentin Wattenmeer des Deutschen WWF hat uns noch einige Dinge erklärt. So zum Beispiel was der Auslöser der Erkrankung ist und was PCB und TBT bedeutet. Hier das Interview:

WIW: Wie stecken sich die Seehunde am Seehundstaupevirus untereinander an?

Annette Bauermann: Das Virus kann in Seewasser nicht lange überleben. Es wird vermutlich durch direkten Kontakt zwischen Seehunden und eventuell auch durch Nasen- und

Bronchialschleim, der ins Wasser gelangt, übertragen.

WIW: Wie lange dauert es, bis die Krankheit ausbricht?

Annette Bauermann: Nach etwa 10 Tagen nach der Ansteckung kann die Krankheit ausbrechen.

WIW: Breitet sich die Erkrankung derzeit weiter aus?

Annette Bauermann: Im Mai 2002 ist die Krankheit auf der dänischen Insel Anholt ausgebrochen. Seitdem sind schätzungsweise 700 Seehunde in der Ostsee zwischen Dänemark

und Schweden gestorben. Mitte Juni wurde auf der niederländischen Wattenmeerinsel Vlieland ein am Seehundstaupe-Virus erkranktes Tier gefunden. Es besteht leider die Gefahr, dass sich die Krankheit auch im Wattenmeer weiter ausbreitet.

WIW: Wie wird die Krankheit ausgelöst?

Annette Bauermann: Das Seehundstaupe-Virus schädigt das Immunsystem der Seehunde. Das Immunsystem ist so etwas wie eine "Polizei" des Körpers, das schädliche Bakterien, Pilze oder Viren abwehrt. Infolge der Schwächung des Immunsystems durch das Virus stecken sich die Seehunde mit weiteren Krankheiten an. Viele Tiere erkranken und sterben an Lungenentzündung.

Auch die Verschmutzung der Meere spielt im Zusammenhang mit der Seehundstaupe eine wichtige Rolle: Seehunde fressen Fisch, der seinerseits bereits hoch mit giftigen Stoffen belastet sein kann. Einige dieser Giftstoffe reichern sich im Fettgewebe an. Zum Schutz vor Kälte hat der

Seehund eine bis zu fünf Zentimetern dicke Speckschicht. Hier können sich hohe Konzentrationen von Giftstoffen ansammeln. Nach dem Seehundsterben im Jahr 1988 hat man festgestellt, dass die Seehunde zum Teil hoch mit giftigen Stoffen wie PCBs (Polycholrierte Biphenyle) belastet waren. Diese Stoffe können das Immunsystem schwächen, so dass die Seehunde anfälliger für Krankheiten wie das Seehundstaupe-Virus sind.

WIW: Was bedeutet PCB und TBT und bromiertes Flammschutzmittel? Wozu wird das benutzt? Wie gelangt es ins Meer?

Annette Bauermann: PCB ist eine Abkürzung für die Stoffgruppe der Polychlorierten Biphenyle. Diese Stoffe waren früher z.B. als Weichmacher in Kunststoffen enthalten. Heute findet man sie z.B. noch in Transformatoren. Innerhalb der letzten 70 Jahre sind zehntausende Tonnen dieser Schadstoffgruppe in die Umwelt gelangt. Über die Flüsse und die Luft gelangen sie ins Meer. Zum Glück ist der Einsatz der PCBs in Europa seit einiger Zeit verboten, dennoch geht die Belastung der Meere mit diesen Stoffen nur äusserst langsam zurück, weil sie nur schwer abbaubar sind.

TBT (Tributylzinn) ist ein Gift, das man u.a. für Unterwasseranstriche für große Schiffe einsetzt. Es sorgt so dafür, dass sich keine Organismen wie z.B. Seepocken am Schiffsrumpf anhaften. Das TBT löst sich aus der Farbe und gelangt so vom Schiff ins Meer. TBT kann schon in geringen

Konzentrationen bei Säugetieren und Fischen zu einer Schwächung des Immunsystems führen. Bei Schnecken schädigt es das Fortpflanzungssystem. Bei Vögeln führt es u.a. zu verminderten Bruterfolg.

Bromierte Flammschutzmittel werden z.B. in Elektrogeräten eingesetzt, um diese schwer entflammbar zu machen. Die Stoffe dünsten aus den Geräten aus und können über die Atmosphäre ins Meer gelangen. Falls bromierte Flammschutzmittel aus Mülldeponien oder beim Recycling austreten können, gelangen die Stoffe auch über das Grundwasser und die Flüsse ins Meer.

WIW: Wie kann man den Tieren helfen? Gibt es eine Heilungschance?

Annette Bauermann: Wenn die Krankheit bei einem Seehund erst einmal ausgebrochen ist, verläuft sie in sehr vielen Fällen tödlich. Tiere die bereits erkrankt sind, gelangen meist erst in die Obhut des Menschen, wenn die Krankheit schon weit fortgeschritten ist. Ihnen kann dann kaum noch geholfen werden. Einen Impfstoff gibt es zwar, für eine Impfung müsste man allerdings die Seehunde erst einmal einfangen. Nur so könnte man das Serum durch die dicke

Fettschicht hindurch ins Muskelgewebe spritzen. Es ist aber nicht möglich, über 20.000 Seehunde zu impfen. Das Einfangen der Seehunde würde sowohl die Kranken als auch die Gesunden in unnötigen Stress versetzen. Darüber hinaus würden die Seehunde wieder sehr scheu und ließen sich nicht mehr einfangen. Letztendlich könnte nur eine kleine Anzahl von Seehunden geimpft und somit die Seuche nicht aufgehalten werden.

WIW: Wie lange sind die Tiere krank?

Annette Bauermann: Wenn die Seehunde an dem Seehundstaupe-Virus erkrankt sind, sterben sie meist innerhalb von wenigen Tagen.

WIW: Besteht eine besondere Gefahr darin, dass die Seehunde jetzt auch ihre Jungen bekommen?

Annette Bauermann: In der Zeit von Juni bis August werden die jungen Seehunde von ihren Müttern gesäugt. Stirbt eine Seehundmutter bevor die Säugezeit abgeschlossen ist,

hat auch das Junge in der Natur keine Überlebenschance.

WIW: Sind Jungtiere stärker gefährdet als ältere?

Annette Bauermann: Untersuchungen haben gezeigt, dass junge Seehunde - im Gegensatz zu vielen anderen jungen Säugetieren - recht widerstandsfähig gegenüber Krankheiten sind. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Säugen: über die Milch ihrer Mütter nehmen die Seehundwelpen viele Antikörper auf, die zur Abwehr von Krankheiten beitragen. Trotzdem sind die Alttiere in der Regel besser gegen Krankheiten gewappnet als Jungtiere.

-ab-25.06.2002

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