Der Rüssel des Brachiosaurus brancai

Morgendliche Dunstfahnen heben sich über dem dichten Blätterdach des Dschungels. Urplötzlich zerreißt ein markerschütternder Ton die morgendliche Stille. Aus tiefstem Bass steigt der Ruf bis in fast unhörbare Höhen an.

Kurz nachdem der Ruf verhallt ist, durchbricht ein riesiger Rüssel die Baumkronen und verharrt aufgerichtet über den Zweigen. Innerhalb von wenigen Minuten wird der Ruf beantwortet und ein vielstimmiges Konzert betäubt die Ohren. Der Morgengesang der Brachiosaurier erklingt über den Dschungeln des späten Jura.

Stimmt was nicht?

Brachiosaurier lebten wie andere Titanosauriden höchstwahrscheinlich in Herden. Auch die Lautäußerungen der Saurier sind wahrscheinlich.

Aber Rüssel?

Warum nicht? Oder besser: Warum nicht schon längst! Momentan ist die Diskussion über die Lage der Saurier-Nasen neu entbrannt. Plausible Gründe sprechen dafür, dass sich bei den meisten Sauriergattungen die Nasen recht weit vorne im Schädel befanden. Bei vielen der riesigen Pflanzenfresser finden sich aber die Nasenlöcher ganz klar auf dem Schädeldach. Solange man davon ausging dass sich die gigantischen Vegetarier trägen U-Booten gleich in tiefen Seen wälzten, schien es plausibel, sie sich mit obenliegenden Schnorchelnasen vorzustellen. Unsere Vorstellungen haben sich geändert, aber die Nasen sitzen unverändert immer noch oben.

Das mag Gründe haben. Das derzeit größte landlebende Säugetier, der Elefant hat ebenfalls oben im Schädel liegende Nasenlöcher. Und es wäre sicher lustig, sich eine Rekonstruktion eines Elefanten durch einen Wissenschaftler vorzustellen, welcher noch nie einen Elefanten gesehen hat und nur über den Schädel verfügt. Ob er wohl einen Rüssel hätte?

Der Schädel des Brachiosaurus verfügt mit einem hohen Knochenkamm zudem über eine hervorragende Ansatzstelle für die Rüsselmuskulatur.

Es gibt noch eine weiteren Grund für die Rüssel-Hypothese: der Bau des Saurier-Halses. Die Halswirbel sind kunstvoll ineinander verschränkt und garantieren so maximale Stabilität bei minimalem Gewicht. Dies geht jedoch auf Kosten der Beweglichkeit zu den Seiten. Der Saurier müsste ziemlich viel rangieren um sein kleines Maul zur Nahrung hinzubewegen. Hier ist ein beweglicher Rüssel natürlich ein großer Vorteil. Auch ohne die Feinmotorik eines Elefantenrüssels erhöht er die Reichweite des Tieres gewaltig.

Die Vorteile der Schallerzeugung im Bereich des Sozialverhaltens für den Zusammenhalt von Verbänden und zur Revierabgrenzung sind offenbar, aber hypothetisch.



Bernhard Hildebrand/lesestein.de -20.08.01

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