Gustav Heinemann ein unbequemer Demokrat

Gustav Heinemann war von 1969 bis 1974 der dritte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Als Innen- und Justizminister hatte er bereits seit 1949 die Geschicke des Landes mit gelenkt. Sein Leben lang setzte er sich als überzeugter Demokrat und Christ für Frieden und Menschlichkeit ein. Stures Beharren auf Überzeugungen von Parteien oder kirchlichen Konfessionen war hingegen nicht seine Sache.

Für Freiheit und Demokratie

Foto: Gustav Heinemann 1969

Geboren wurde Gustav Walter Heinemann am 23. Juli 1899 in Schwelm (Nordrhein-Westfalen). Schon als Jugendlicher setzte er sich für Freiheit und Demokratie ein. Auch seine Eltern und Großeltern waren demokratisch und linksliberal eingestellt. Einer seiner Urgroßväter hatte sich sogar an der Märzrevolution von 1848 beteiligt.

Kaum 18jährig zog er 1917 in den Ersten Weltkrieg, doch schon nach drei Monaten wurde er wegen einem Herzleiden vom Kriegsdienst zurückgestellt. Er studierte Politik- und Rechtswissenschaften und arbeitete als Justiziar für die Rheinischen Stahlwerke in Essen. 1926 heiratete er die evangelische Theologin Hilda Ordemann, mit der er vier Kinder hatte. Durch seine Frau erhielt Heinemann, der vorher nichts mit Kirche und Christentum zu tun hatte, Zugang zum christlichen Glauben.

Bekennender Christ unter dem Hakenkreuz

Als Adolf Hitler 1933 an die Macht kam, wurde es für die Protestanten, die sich nicht den nationalsozialistisch orientierten Deutschen Christen anschließen wollten, schwierig. Sie gründeten die Bekennende Kirche, zu der auch Gustav Heinemann gehörte. Als Rechtsberater versuchte er, die Bekennende Kirche vor staatlichen Übergriffen zu schützen und Personen, die wegen ihres Glaubens von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, vor Gericht zu verteidigen.

Im Keller seines Hauses vervielfältigte er illegale Flugblätter der Bekennenden Kirche und versorgte versteckte Juden mit Lebensmitteln. Da er dabei sehr vorsichtig war, wurde er bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges nie erwischt.

Er wandte sich entschieden gegen die Aufsplitterung der Bekennenden Kirche in verschiedene Lager, zu der es kam, weil die Unterschiede der verschiedenen protestantischen Glaubensrichtungen (lutherisch, reformiert, uniert) scheinbar unüberbrückbar waren.

Für den Frieden

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Präsident des Rates der Evangelischen Kirchen (EKD), des obersten Gremiums der Protestanten in Deutschland. Außerdem war er Mitbegründer der CDU (Christlich-demokratische Union) und Oberbürgermeister von Essen.

1949 wurde Konrad Adenauer der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Da er zu viele katholische Minister in seinem Kabinett hatte, berief er Gustav Heinemann zum Innenminister um einen Ausgleich mit dem evangelischen Flügel seiner Partei zu schaffen.

Heinemann nahm dieses Amt nur widerstrebend an und als er ein Jahr später erfuhr, dass Adenauer geheime Pläne zur Wiederbewaffnung der Bundesrepublik verfolgte, trat er von von seinem Posten zurück. (Nach dem Krieg war das deutsche Militär von den Siegermächten aufgelöst und verboten worden.) Heinemann war nämlich ein Anhänger des Pazifismus und glaubte nicht, dass man mit dem Aufstellen einer neuen Armee dem Ziel eines langfristigen Friedens näher kommen würde.

Für die deutsche Wiedervereinigung

Foto: Konrad Adenauer

Ein weiterer Streitpunkt zwischen ihm und dem Kanzler war Adenauers Politik gegenüber der DDR. Heinemanns strebte die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten an. Deutschland sollte als neutrale Macht zwischen dem kommunistischen Ostblock einerseits und den kapitalistischen westeuropäischen Ländern andererseits bestehen.

Adenauer jedoch blockierte eine solche Entwicklung durch die Wiederbewaffnung des Bundesrepublik. Die Fronten zwischen BRD und DDR verhärteten sich, eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten rückte in immer weitere Ferne.

Um seinem Ziel näher zu kommen, gründete Heinemann 1952 die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP). Da diese jedoch kaum Stimmen aus der Bevölkerung gewinnen konnte, trat er 1957 in die SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) ein. Im selben Jahr wandte er sich gegen die von Konrad Adenauer und Franz Joseph Strauß geplante Atom-Bewaffnung der Bundeswehr.

Für Freiheit und Gleichheit

Foto: Franz Joseph Strauß

Als Jurist vertrat Heinemann 1962 das Nachrichtenmagazin Der Spiegel gegenüber Franz Joseph Strauß, der mehrere Redakteure der Zeitung in der so genannten Spiegel-Affäre hatte verhaften lassen, da sie angeblich Staatsgeheimnisse veröffentlicht hatten. Er unterstützte damit die Pressefreiheit, die durch die Spiegel-Affäre in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt war.

Von 1966 bis 1969 bekleidete Gustav Heinemann das Amt des Justizministers unter Kanzler Willy Brandt (SPD). Er leitete die große Strafrechtsreform ein, in der er gesetzliche Strafen als Erziehungs- statt bisher als Vergeltungsmaßnahme für begangenes Unrecht einstufte. Ihm war es wichtig, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich behandelt wurden, deshalb schaffte er Strafen für Homosexualität ab, die es bis dahin gegeben hatte.

Immer wieder vertrat er als Anwalt Menschen, die politischen und religiösen Minderheiten angehörten. Er machte sich stark für Wehrdienstverweigerer, die damals mit großen Problemen rechnen mussten, denn ein anerkanntes Zivildienst-System gab es noch nicht.

Apo-Opa

Als Mitte der 1960er Jahre die Studentenproteste begannen, zeigte er Verständnis für den Unmut der jungen Menschen. Er forderte mehr Demokratie und mehr Bürgerrechte und verteidigte das Recht zu demonstrieren, das die CDU damals einschränken wollte. Gewalttätige Auseinandersetzungen verurteilte er dagegen als Unrecht und Dummheit.

Foto: Rudi Dutschke

Nach dem Attentat auf Studentenführer Rudi Dutschke 1968 rügte er sowohl den Bundeskanzler Kiesinger, der alle Studenten pauschal als militante linksextremistische Kräfte verurteilt hatte, als auch die gewaltbereiten Protestierer, indem er sagte:

Wer mit dem Zeigefinger allgemeiner Vorwürfe auf den oder die vermeintlichen Anstifter oder Drahtzieher zeigt, sollte bedenken, dass in der Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger zugleich drei andere Finger auf ihn selbst zurückweisen.

Viele seiner Politikerkollegen aber auch weite Kreise der Bevölkerung waren schockiert, dass Heinemann den Studenten so stark entgegen kam. Er erhielt deshalb den Beinamen Apo-Opa. (APO ist die Abkürzung für Außerparlamentarische Opposition, also eine politische Gegenkraft innerhalb der Bevölkerung, als welche sich die Studentenbewegung verstand.)

Bürgerpräsident

Standarte des Bundespräsidenten

Am 5. März 1969 wurde Heinemann schließlich Bundespräsident und hatte damit das höchste Amt in der Bundesrepublik inne. Doch statt wie seine Vorgänger in erster Linie den Staat zu repräsentieren, wollte er ein Bürgerpräsident sein. Sein Verständnis als Präsident brauchte er mit den Worten zu Ausdruck:

Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau.


Als im September 1969 die neue Regierung unter Kanzler Willy Brand vereidigt wurde mahnte er:


Auch Ihnen ist nicht mehr als kontrollierte Macht auf Zeit anvertraut. Nutzen Sie diese Ihre Zeit.

Heinemann machte Staatsbesuche in etlichen Ländern, die während des Dritten Reiches unter deutscher Besatzung zu leiden gehabt hatten und entschuldigte sich für dieses Unrecht. Seine erste Reise als Präsident führte ihn in die Niederlande.

Zu den traditionelle Neujahrsempfängen lud er nicht nur Diplomaten anderer Länder ein, sondern auch ganz normale Bürger, besonders solche, die eher am Rand der Gesellschaft stehen: Gastarbeiter, Behinderte, Müllabfuhrarbeiter.

Ehepaar Heinemann bei ihrer Verabschiedung am Bahnhof Köln 1974.

Er gründete die Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung, damit die Gesellschaft besser lerne, den Frieden, den er den Ernstfall nannte, besser zu bewahren.

1974 hätte sich Heinemann für eine zweite Amtszeit als Bundespräsident wählen lassen können, worauf er jedoch aus Altersgründen verzichtete. Auch im Ruhestand setzte er sich weiterhin für den Erhalt der Bürgerrechte ein, die wegen der Angst vor Terrorismus (RAF) deutlich eingeschränkt wurden. Heinemann starb am 7. Juli 1976 in Essen.

Text: Liane Manseicher, 05.03.09; Fotos: Heinemann 1969 und im Zug mit seiner Frau: Deutsches Bundesarchiv: cc-by-sa 2.0; Briefmarke: Deutsche Post; Strauß: pd; Adenauer: Bundesarchiv.

Hinweis: Im Archiv wurden alle Bilder und Links entfernt