Gemeinsam geht alles leichter

Vor 200 Jahren, am 29. August 1808 wurde Hermann Schulze-Delitzsch geboren. Er gilt als Begründer des Genossenschaftswesens. Was sich dahinter verbirgt und was Raiffeisenbanken damit zu tun haben, erfahrt ihr hier.

Hermann Schulze-Delitzsch wurde als Franz Hermann Schulze am 29. August 1808 in Delitzsch geboren. Sein Vater war Justizrat und Bürgermeister des Ortes. Nach der Schule studierte er Jura und arbeitete unter anderem an einem Berliner Gericht.


Ab 1841 arbeitete er als Patrimonialrichter. Das ist eine besondere Form der Gerichtsbarkeit, die nicht vom Staat, sondern von einzelnen Personen oder Einrichtungen ausgeübt wurde. Früher hatten zum Beispiel Universitäten ihre eigene Rechtssprechung. Als ein solcher Richter war er für mehrere Rittergüter in seiner Heimat zuständig.


Gemeinsame Not verbindet


Dabei lernte er auch die Nöte von Handwerkern und kleinen Betrieben kennen, die mit der immer bedeutender werdenden Industrialisierung zu kämpfen hatten. Als es 1846 zu einer schlechten Ernte kam, half er, ein Notkomitee zu gründen. Das hatte zur Aufgabe, neues Getreide zu beschaffen und für den Fortbestand einer Mühle und einer Bäckerei zu arbeiten.


Ohne diesen Beistand hätten die Bauern je einzeln auf überteuerte Darlehen von Wucherern zurückgreifen müssen, was sie faktisch abhängig gemacht hätte. Schließlich wurde Schulze-Delitzsch als Politiker in die Preußische Nationalversammlung gewählt.


Auch hier kümmerte er sich um die Belange von Handwerkern und kleinen Gewerbetreibenden. Ihm kam der Gedanke, dass die Lage solcher Kleinunternehmer nur zu verbessern war, wenn sie sich zusammenschlossen und so mit den sich bildenden Industrien konkurrieren konnten.


Schweizer Eidgenossenschaft


Der Genossenschaftsgedanke nahm Gestalt an, wobei die Idee der gemeinschaftlichen Arbeit und Unterstützung bis in die Antike zurückreicht. Die heutige Schweiz entwickelte sich als Eidgenossenschaft sogar aus den so genannten Alpgenossenschaften, die sich um die gemeinschaftliche Nutzung der Weiden kümmerten.


1848 herrschte Revolutionsstimmung in Deutschland. Delitzsch zog sich aus dem politischen Tagesgeschäft zurück und wollte sich der Verbreitung seiner Idee widmen. 1849 gründete er in seiner Heimatstadt Delitzsch eine Schuhmachergenossenschaft.

Er wendete sein Konzept auch auf andere Bereiche an und entwickelte die Idee von Spar- und Konsumvereinen sowie Vorschuss- und Kreditvereinen, die als Volksbanken in die heutige Zeit überdauert haben. Etwa zur gleichen Zeit hatte auch Friedrich Wilhelm Raiffeisen (Bild) die Idee der gegenseitigen Unterstützung. Aus seinen Ideen entwickelten sich die noch heute bestehenden Raiffeisen-Banken.


Die Ideale einer Genossenschaft


Genossenschaften zeichnen sich durch Selbsthilfe (Mitglieder helfen einander), Selbstverantwortung (Mitglieder haften gemeinsam für die Folgen ihrer Handlungen und verzichten auf Unterstützung durch den Staat), demokratische Entscheidungen (Mitglieder treffen Entscheidungen gemeinsam), Gleichheit (die Mitglieder sind gleichwertig) und Solidarität (Stärkere helfen Schwächeren) aus. Außerdem richten sich Genossenschafter freiwillig nach Ehrlichkeit, Offenheit und dem Willen zur Gemeinschaft.


Das Genossenschaftsrecht besteht bis heute fort und wurde erst im Jahr 2006 den veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen angepasst. Dabei haben sich zwei wesentliche Formen herauskristallisiert: Die Produktivgenossenschaft und die Fördergenossenschaft. Bei ersterer sind die Mitglieder der Genossenschaft auch gleichzeitig ihre eigenen Arbeitgeber. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt, etwa durch gemeinschaftlich bewirtschaftetes Land oder in einer Verlagsgenossenschaft.


Die Fördergenossenschaft kümmert sich, kurz gesagt, darum, für ihre Mitglieder günstig Dinge zu beschaffen, die sie zur Ausübung ihres Berufes benötigen. Weil eine Genossenschaft gewissermaßen als Großabnehmer auftritt, erhält sie oft Rabatte und andere Vergünstigungen.


Genossenschaften sind in Deutschland weit verbreitet. Vom landwirtschaftlichen Sektor, wo sich die bayerische BayWa einen Namen gemacht hat, über Wohnungsbaugenossenschaften, die oft nach dem Krieg entstanden, und Verlagsgenossenschaften wie die der taz oder der junge Welt, sind sie in fast allen wirtschaftlichen Bereichen zu finden. Auch die Vergabestelle der deutschen Internetdomains, die DENIC, ist als Dienstleistungsgenossenschaft organisiert.


Briefmarke zu Ehren Delitzsch'


"Der Geist der Genossenschaft ist der Geist der modernen Gesellschaft" - so lautet der Text auf der Gedenkmarke zu Ehren Delitzsch'.

Hermann Schulze-Delitzsch stieg 1859 wieder in die Politik ein und war 1861 Mitgründer der Deutschen Fortschrittspartei. In seiner Funktion als Politiker konnte er das Genossenschaftsgesetz in Preußen und im Norddeutschen Bund durch. Er starb am 29. April 1883. Seit 1899 steht in Berlin-Mitte ein Denkmal von ihm auf dem nach ihm benannten Schulze-Delitzsch-Platz. Zu seinem Gedenken erschien am 7. August 2008 eine 90-Cent-Sonderbriefmarke.


Text: -jj- 28.8.2008 // Bilder: Denkmal: Andreas Steinhoff; Gemälde & Briefmarke Entwurf Thomas Serres/PD

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