Franzosen sagen "Nein" zur EU-Verfassung

Die Fortentwicklung Europas ist ins Stocken geraten. In einer Volksabstimmung ließen die Franzosen das europäische Verfassungsprojekt mit deutlicher Mehrheit scheitern. Die Wahlbeteiligung lag mit etwa 70 bis 70,5 Prozent etwas höher als bei dem Referendum über den Vertrag von Maastricht 1992. In Deutschland hatte der Bundesrat am Freitag vorher zugestimmt.

Alle 25 Staaten müssen ja zur EU-Verfassung sagen, damit sie in Kraft treten kann. Frankreich hat als zehntes EU-Land über die EU-Verfassung entschieden. Vorher haben sich neun Länder, darunter Spanien, Litauen, Ungarn, Slowenien, Italien, Griechenland und Deutschland, für den Text entschieden. Bisher gilt als Grundlage der EU-Arbeit der Vertrag von Nizza, mit dem Mehrheitsentscheidungen im EU-Ministerrat schwerer zu erreichen sind als mit der Verfassung.

Auch die Niederländer haben den EU-Verfassungstext abgelehnt. Sie denken, ihr kleines Land hat in dem größer und mächtiger werdenden Europa weniger zu sagen. Und das, obwohl die Niederländer mit zu den Staaten gehören, die am meisten für Europa zahlen. Fürs Erste ist die gemeinsame Verfassung der EU also gescheitert. Aber die "Neins" aus Holland und Frankreich kamen nicht so überraschend, wie manche Politiker das nun gerne darstellen. Die EU wird auch weiterhin funktionsfähig bleiben, fraglich ist aber, wie es nun weitergeht mit Europa und einer Verfassung. Der Ratschlag der britischen Regierung ist sicher nicht der verkehrteste: Über das Scheitern nachdenken und sich in Ruhe neu beraten.

Warum durften in Deutschland die Bürger nicht abstimmen?

Während in Frankreich und England die EU-Verfassung heiß auf der Straße diskutiert wird, scheint die Deutschen das Thema eher kalt zu lassen. Kaum jemand kennt den Inhalt des 448-Paragrafen-Werks und regt sich auf. Politiker aller Parteien warben für die Verfassung, ohne dass dabei genauer über Inhalte gesprochen wurde. So ist auch die Abstimmung im Bundestag ohne großes Aufsehen über die Bühne gegangen.

Bei der Einführung des Euro als gemeinsame Währung war es ähnlich gewesen. In einigen Ländern durfte das Volk damals selbst abstimmen, in anderen Mitgliedsstaaten - wie in Deutschland - entschied das Parlament. Hier geht man davon aus, dass das die gewählten Volksvertreter zu entscheiden haben und nicht der einzelne Staatsbürger.

Löst die EU-Verfassung die nationalen Parlamente als Gesetzgeber ab?

Kritiker der Verfassung sehen die Gefahr eines Kompetenzverlustes. Jedes Länderparlament drohe zum Vollzugsorgan Brüsseler Entscheidungen degradiert zu werden, heißt es. In Deutschland haben Verfassungsrechtler das Parlament aufgefordert, strikt auf eine mit dem Grundgesetz vereinbare Auslegung der EU-Verfassung zu achten.

Die Befürworter verweisen dagegen auf das so genannte Subsidiaritätsprinzip, wonach die EU nur dann tätig wird, wenn eine Frage auf Unionsebene besser geklärt werden kann als in den Mitgliedstaaten.

Ändern sich die Grundrechte?

Nein, denn mit der Verfassung wird die europäische Charta der Grundrechte Bestandteil der europäischen Verträge. Sie erhält allgemeine Rechtsverbindlichkeit. Jeder Bürger kann die Rechte vor dem Europäischen Gerichtshof individuell einklagen. Zum Beispiel ist die Verhängung der Todesstrafe in der Verfassung verboten.

Die EU-Verfassung sieht sogar ein Bürgerbegehren vor: Wenn eine Million Bürger aus EU-Ländern mit Unterschriften ein Gesetz verlangen, muss die Kommission tätig werden.

Ab wann gilt die EU-Verfassung?

Angepeilt war das Jahr 2007. Sobald alle 25 Mitgliedstaaten den Text ratifiziert haben, sollte die Verfassung in Kraft treten. Fraglich war jedoch bei Nennung dieses Jahres schon, ob der "Vertrag über eine Verfassung in Europa" in allen EU-Ländern auf die notwendige Zustimmung stößt. Das sieht auch bei den geplanten Volksabstimmungen in Großbritannien und Polen nicht so aus.

Wie geht es nach dem "Nein" in Frankreich weiter?

Was passiert, wenn die Verfassung in einem EU-Land durchfällt ist nicht deutlich definiert worden. Im Vertragstext steht lediglich, dass sich der Europäische Rat dann mit dieser Frage befasst.Der Vize-Präsident der EU-Kommission Günter Verheugen sieht nach dem Scheitern der EU-Verfassung in Frankreich keinen Grund, den Vertragstext zu ändern. Man werde den Ratifizierungsprozess in der gesamten EU abwarten und dann Ende nächsten Jahres Bilanz ziehen. Führende EU-Parlamentarier sprachen sich gegen Resignation und für eine Weiterführung des Ratifizierungsprozesses aus.

Noch mehr Infos über Europa und die EU-Verfassung findet ihr unter www.mehr-europa.de/

Text: RR, 30. 5. 2005

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