Die Gesamtschule - eine Alternative zum gegliederten Schulsystem

Hauptschule, Realschule oder Gymnasium? Wann ist der richtige Zeitpunkt das zu entscheiden? Mit dieser Frage beschäftigen sich seit vielen Jahren Eltern, Lehrer und Politiker. Um zu testen, wie Kinder aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten über die vierte Klasse hinaus zusammen lernen, fasste das Kultusministerium vor 40 Jahren den Entschluss, das Konzept der Gesamtschulen zu erproben.

Je nach Bundesland stellen sich die schulischen Weichen von Kindern sehr früh. In Hessen etwa, wo bereits in der 3. Klasse sogenannte Orientierungsarbeiten für den weiteren Bildungsweg geschrieben werden, stößt diese frühe Entscheidung auf Kritik.

Das kennst du vielleicht aus deiner eigenen Schulklasse - einige deiner Mitschüler erbringen bereits ab der 1. Klasse sehr gute Leistungen, andere dagegen sind noch in der 4. Klasse eher verträumt und haben mit dem bestehenden Notensystem ihre Probleme.

Die Diskussion um unser Schulsystem ist nicht neu. Sie zieht sich durch die Geschichte. Dabei spielt die soziale Benachteiligung von Kindern aus ärmeren Verhältnissen immer wieder eine Rolle. Bereits 1809 legte der Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt Schulpläne vor, die jedem Kind die Chance geben sollten sich bestmöglich zu entfalten. Allerdings war es zu seiner Zeit undenkbar, dass Kinder adligen Standes mit den Kindern aus einfachen Verhältnissen die Schulbank teilten.

Beruf und Bildung die Odenwaldschule

Ein weiterer Reformpädagoge, der nach einem gerechterem Bildungswesen strebte, war Paul Geheeb. Werde, der du bist war sein Leitsatz. 1910 gründete er die bis heute bestehende Odenwaldschule: Die Gesamtschule gibt allen Kindern die Chance auf eine  Doppelqualifikation, Abitur und berufliche Ausbildung. Um individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten besser zu fördern, wachsen die Kinder in einem familiären Verhältnis zu Betreuern, Lehrern und Mitschülern auf.

Gemeinsam lernen in der Waldorfschule

1919 folgte die Gründung der Waldorfschule nach dem Konzept von Rudolf Steiner in Stuttgart. Unabhängig von sozialer Herkunft und Begabung lernen die Kinder hier gemeinsam. Waldorfschulen gibt es heute in ganz Deutschland: Die Gesamtschulen setzen dabei auf eine stärkere pädagogische Förderung. Alle Kinder durchlaufen ohne Sitzenbleiben 12 Schuljahre.

Gesamtschulkonzept soll sich beweisen

Immer wieder sorgte der Wunsch nach einer gerechten und mordernen Schulbildung für Disskussionen bei Lehrern und Politikern.. So wollte man nach dem 2. Weltkrieg ein einheitliches Schulsystem einführen. Und während der Osten Deutschlands dies auch umsetzte, hielt der Westen am gegliederten Schulsystem fest.

Bessere Bildung für Besserverdiener?

Gegner des Schulsystems betonten damals wie heute die soziale Benachteiligung von Kindern. So hätten Kinder mit Migrantenhintergrund aufgrund ihrer manchmal schwachen sprachlichen Leistungen kaum eine Chance das Gymnasium zu besuchen. Migrantenhintergrund haben Kinder, deren Familie ursprünglich aus einem anderen Land stammt. Die Kinder selbst sind oft bereits in Deutschland geboten und haben die deutsche Staatsangehörigkeit.

Eine neunjährige Basisschule würde mehr Kindern die Möglichkeit geben, einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen. Doch es gab und gibt auch viele Befürworter des gegliederten Schulsystems. Sie sind der Auffassung, dass eine Schule für alle die schlechten Schüler zu viel fördern würde und die guten Schüler im Gegensatz dazu zu wenig.

Startschuss für die Gesamtschule

Um zu testen, wie sich ein längeres gemeinsames Lernen tatsächlich auswirkt, fasste das Kultusministerium am 27. November 1969 schließlich einen Entschluss: Das Konzept der Gesamtschule sollte in der Praxis erprobt werden. Zunächst wurden  40 Schulen ausgewählt,. Hier gab es nun keine Trennung mehr in Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Dieses Schulkonzept sollte für Chancengleichheit bei Schülern von unterschiedlicher Herkunft sorgen.

Dauerstreit Gesamtschule

In den 70er Jahren begannen Politiker das Gesamtschulkonzept zu hinterfragen. Während SPD-Politiker für mehr Gesamtschulen plädierten, lehnten die konservativen CDU-Politikern sie kategorisch ab. Der Höhepunkt des Streits gipfelte in dem Versuch  der in Nordrhein-Westfalen regierenden Parteien SPD und FDP hier flächendeckend Gesamtschulen einzuführen. Erst Flugblattaktionen von CDU, Eltern, Lehrern und Kirchen stoppten verhinderten das neue Schulgesetz.

Im Jahre 1982 sollte der Schulversuch der Gesamtschulen zu Ende gehen und eine Entscheidung getroffen werden. Doch ein eindeutiges Ergebnis gab es nicht: So sprachen sich sich die Bundesländer mit einer konservativen Regierung gegen die Gesamtschule aus, Bundesländer mit einer sozialdemokratischen Regierung dagegen bewerteten das Konzept Gesamtschule positiv.

Die Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland brachte die Diskussion um die  Gesamtschule wieder ins Rollen, doch auch diesmal setzte sich das gegliederte Schulsystem durch.

Diskussion über die Bildung in Deutschland hält an

Bis heute stehen Gesamtschulen mit dem gegliederten Schulwesen im Wettbewerb. Dabei ist der wesentlichste Unterschied die Leistungsdifferenzierung innerhalb der Schule. Das bedeutet, dass Kinder mit besseren Leistungen einen anderen Fachkurs besuchen, aber nicht auf eine andere Schule wechseln.  Um diese Differenzierungsarbeit leisten zu können und den einzelnen Schülern weiterhin gerecht zu werden, fordern Gesamtschulen mehr Einsatz von den Lehrkräften.

Text: Christine Spindler, 27.11.2009, Bilder: Schüler von Image Library/Tessloff Archiv, Rudolf Steiner Radierung von Otto Fröhlich/pd, Lehrerin und Schüler/Tessloff Archiv

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