Auf den Spuren der Wikinger

Wochenlang lebte die Besatzung des nachgebauten Wikingerschiffs "Havhingsten" wie die alten Seekrieger. Nach 44 Tagen auf See und 1.700 Kilometern mit reichlich Rudereinsatz wurden die Abenteurer begeistert in Dublin empfangen.


Das moderne Abenteuer begann mit einigen Wrackteilen, die zwei Amateurtaucher 1956 im Fjord nahe Skuldelev, etwa 20 Kilometer nördlich von Roskilde in Dänemark, entdeckten.

Zwischen 1957 und 1962 wurden insgesamt über 20 000 Fragmente vom flachen Meeresgrund und von der später trockengelegten Ausgrabungsstätte geborgen. Sie gehörten zu einer Ansammlung von fünf Schiffen aus dem 11. Jahrhundert, die die Wikinger als Sperre zum Schutz gegen mögliche Invasionen in einer schmalen Fahrrinne des Roskilde-Fjords versenkt hatten. 1969 erhielten die Funde eine eigene Ausstellungshalle, aus der bald ein Museum wurde.

Modernes Museumskonzept

Die Gründer des Wikinger-Museums in Roskilde wollten neue Wege gehen und die Kulturgeschichte der Nordmänner in die Gegenwart bringen. So entstand ein weltweit einmaliges Gebilde aus Museum, Schiffswerft und angeschlossenen Labors, in dem gleichzeitig wissenschaftlich und museumsdidaktisch gearbeitet wird. In der archäologischen Werkstatt werden Schiffsfunde aus ganz Dänemark vermessen und dokumentiert, während fast 13 000 Besucher pro Jahr die museumseigenen Boote benutzen können. Einzigartig sind fünf Nachbauten der Skuldelev-Funde. Das Flaggschiff dieser mit zeitgenössischen Werkzeugen wie Äxten und Steinmeißeln aus Eichenholz nachgebauten "Wikingerflotte" ist die "Havhingsten", zu Deutsch "Seehengst". Das 30 Meter lange Kriegsschiff entstand in den Jahren 2000 bis 2004. Das Team von Fachleuten investierte in dieser Zeit rund 44 000 Arbeitsstunden in den Bau.

Ein archäologisches Experiment

Als die Wissenschaftler in den 1990er Jahren durch die Methode der Dendrochronologie das genaue Alter und die Herkunft der Holzfunde bestimmen konnten stellten sie fest, dass das Langboot "Havhingsten" um 1040 aus irischen Mooreichen in der Nähe von Dublin erbaut worden sein musste.

So entstand das Projekt, dass 2007 mit dem Einlaufen des Nachbaues in den Hafen von Dublin seinen Abschluss finden sollte: Das Original musste im 11. Jahrhundert über die offene See nach Roskilde gelangt sein. Für ein ein Kriegsschiff wurde wahrscheinlich der kürzeste Weg gewählt, um die Kampfkraft der Mannschaft nicht zu sehr zu schwächen. So kamen die Forscher auf die Atlantik-Route um Schottland herum, die die nachgebaute "Havhingsten" nun in Gegenrichtung von Roskilde aus nach Dublin gesegelt ist. Der Nachbau sollte Aufschluss darüber geben, wie die Wikinger es schafften, mit so leichten und empfindlichen Booten die gefährlichsten Meere Europas zu durchqueren. Wie verhielten sich die Wikingerschiffe, wie wurden sie manövriert, wie reagierten sie in rauer See? Die auf den 900 Seemeilen zur grünen Insel und zurück gewonnenen Erkenntnisse wurden wissenschaftlich dokumentiert und werden bald in Buchform und Ausstellungen veröffentlicht.

Wagemutige Abenteurer

Nach der Fertigstellung im Jahr 2004 mussten Probetörns auf dem Roskildefjord beweisen, dass die "Havhingsten" seetüchtig ist. Im Sommer 2006 folgte die erste längere Fahrt von Roskilde nach Oslo und zurück. Unter den insgesamt 65 Besatzungsmitgliedern nahmen auch drei Deutsche an der Testfahrt teil. Insgesamt vier Wochen brauchte man für die Fahrt in die norwegische Hauptstadt. Die Aktiven an Bord lebten wie die alten Wikinger: jeder hatte gerade mal einen Quadratmeter Platz auf dem Schiff.

Doch das schreckte die jungen Freiwilligen aus aller Welt nicht ab, die ihren Sommerurlaub der Schiffsarchäologie opferten, um ein Jahr später bei der großen Fahrt nach Dublin dabei zu sein.

Auf nach Irland


Das Abenteuer begann am 1. Juli 2007: Die "Havhingsten" lief von Dänemark aus in die Nordsee aus und umrundete Schottland, bevor sie Kurs auf Irland nahm. Es war alles andere als eine gemütliche Kreuzfahrt, denn das offene Drachenschiff bot den Seeleuten aus Skandinavien, Großbritannien, Irland, den USA und Kanada keinerlei Schutz vor Wellen, Wind und Regen. Wie zu Zeiten der Wikinger wurde das Schiff nur vom Wind angetrieben. Wenn der nicht mehr reichte, musste die Besatzung zu den Rudern greifen. Gearbeitet wurde in vierstündigen Schichten. Neuzeitlich war nur die Bekleidung: Statt Helmen und Kettenhemden wie früher trugen die Abenteurer Baseballmützen und Goretexjacken.

Die Dubliner feierten das Ereignis bei der Ankunft am 14. August wie die Rückkehr eines alten Bekannten. Ihre letzten Meter auf dem 1600 Kilometer langen Weg vom dänischen Roskilde bis Irland wurden vom irischen Fernsehen live im Internet übertragen.

Noch einige technische Daten

Die originale Skuldelev 2:

- Baujahr: ca. 1042

- Gebaut: nahe Dublin, Irland



Die Rekonstruktion Havhingsten fra Glendalough:


- Baujahr: 2000-2004

- Gebaut: im Vikingeskibsmuseet Roskilde

- Material: Eiche

- Länge: 30 Meter

- Breite: 3,8 Meter

- Tiefgang: 1 Meter

- Ruder: 60

- Besatzung: 65, max. 80 Mann

- Gewicht: 25 Tonnen

- Segel: 118 qm, Leinen



Alle, die noch mehr über das faszinierende Leben der Wikinger, über ihre Beutezügen durch Europa, ihre Lebensweise und ihre Kunst Schiffe zu bauen und zu navigieren wissen wollen, werden im WAS IST WAS Band 58 Die Wikinger fündig.


Text: RR, 20. 8. 2007

Fotos: Morten Nielsen, Werner Karrasch/ The Viking Ship Museum, Denmark


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