Erasmus von Rotterdam

Neben Philipp Melanchthon gilt Erasmus von Rotterdam als der berühmteste Humanist seiner Zeit. Auf seiner griechischen Erstausgabe basierte Luthers deutsche Übersetzung des Neuen Testaments. Trotzdem lehnte er Luther und die Reformation ab.

Erasmus Desiderius von Rotterdam wurde zwischen 1464 und 1469 in Rotterdam geboren. In vielen Quellen wird der 27. Oktober 1469 als Geburtstdatum genannt. Es gibt aber auch Quellen, die als Geburtsjahr 1464, 1465 oder 1466 angeben. Er war der zweite Sohn des Goudaer Priesters Rotger Gerard und seiner Haushälterin, einer Arzttochter. Peter, der erste Sohn, war drei Jahre älter als Erasmus.

Fleißiger Klosterschüler

Zunächst besuchte Erasmus gemeinsam mit seinem Bruder die Schulen in Gouda und Deventer. Im Alter von etwa 14 Jahren verlor er seine Eltern und kam in die Schule der Brüder vom gemeinsamen Leben nach Herzogenbusch. Zwischen 1486 und 1488 trat er in das Augustinerchorherrenstift Steyn bei Gouda ein und studierte das klassische Altertums und die Patristik. Im April 1492 wurde er zum Priester geweiht, ein Jahr später verließ er im Dienst des Bischofs von Cambrai das Kloster und kehrte nie mehr zurück. Der Bischof ermöglichte Erasmus 1495 das Studium an der Universität in Paris.

Erasmus und seine Zeit

 

Erasmus von Rotterdam lebte in einer Zeit der großen geografischen und weltanschaulichen Umbrüche. Kopernikus entdeckte, dass die Erde um die Sonne kreist und nicht wie bisher angenommen die Sonne um die Erde (heliozentrisches Weltbild). Der Kompass wurde erfunden und Gutenberg entwickelte den Buchdruck mit beweglichen Lettern.

 

Die Zeit war geprägt vom Humanismus, einer philosophischen Weltanschauung, die sich durch ihre Ausrichtung auf das Leben im Hier und Jetzt auszeichnet, anstatt auf ein Leben nach dem Tod. Sie zielte darauf ab, dass der Mensch durch Bildung und Erziehung seine Persönlichkeit frei entfalten kann. Und natürlich war es die Zeit Martin Luthers und der Reformation.

Der Reisende

Das Studium in Paris füllte Erasmus nicht aus. So unternahm er ab 1499 zahlreiche Reisen nach Belgien und England und kam so in Kontakt mit wichtigen Denkern wie Thomas Morus und John Colet. Danach lehrte Erasmus in Cambridge, Basel und Freiburg. 1516 wurde er Hofrat des späteren Kaisers Karl V. und lebte als solcher erst in Brüssel, dann in Löwen.

Vielschreiber

Erasmus hat nach heutiger Erkenntnis etwa 150 Bücher geschrieben.  Ausserdem korrespondierte er mit allen Großen seiner Zeit - über 2000 Briefe, die bis heute erhalten sind, spiegeln seine internationale Bedeutung. Seine »Adagiorum Collectanea« ist eine Sammlung von Sprichwörtern und Redensarten der Antike mit Erklärungen und Erörterungen. Seine »Colloquia familiaria« (Gespräche in vertrautem Kreis), ursprünglich eine Sammlung lateinischer Phrasen zu Unterrichtszwecken, sind eine geistreiche und scharfe Satire auf die Bräuche, Lebensgewohnheiten und die religiösen Gepflogenheiten jener Zeit. »Lob der Torheit«, das beste und als einziges bis heute lebendig gebliebene Werk, ist eine Gesellschaftskritik in der Form der Satire, beherrschend von den beiden Themen: Torheit ist die wahre Weisheit; und: Eingebildete Weisheit ist wahre Torheit.

Erasmus und Luther

1516 gab Erasmus die erste kritischen Ausgabe des griechischen Neuen Testaments mit eigener lateinischer Übersetzung und kurzen Anmerkungen heraus. Auf dieser Arbeit basierte Luthers Übersetzung des Neuen Testaments. Auf Erasmus geht auch die noch heute gebräuchliche Aussprache des Altgriechischen zurück. Erasmus und Luther haben sich nie persönlich kennengelernt, führten jedoch ab 1519 einen intensiven mehr oder weniger öffentlichen Briefwechsel. Während Luther eine "harte Linie" gegen das dekadente Papsttum der römisch-katholischen Kirche vertrat, setzte sich Erasmus für "innere Reformen" ein und bat Luther um Mäßigung. Anfangs verteidigte Erasmus ihn in Briefen an Luthers Landesherrn, den Kurfürsten Friedrich den Weisen, und an Albrecht von Brandenburg, den Kurfürsten von Mainz. Das änderte sich aber durch die Kampfschrift Luthers "De captivitate Babylonica Ecclesiae" von 1520 und sein Auftreten auf dem Reichstag zu Worms im April 1521. Erasmus erkannte, daß jeder von ihnen in den Fragen des Glaubens und der kirchlichen Reform anders dachte, und vollzog 1524 den endgültigen Bruch. In satirischen und kritischen Schriften offenbarte er später seine Ablehnung gegen die Reformation und Luther. Seine letzte kritische Auseinandersetzung mit dem Titel Hyperaspistes kommentierte Luther mit dem bekannten Ausspruch: "Wer den Erasmus zerdrückt, der würget eine Wanze, und diese stinkt noch tot mehr als lebendig."

Würdigung

Als 1529 in Basel die Reformation eingeführt wurde, siedelte Erasmus nach dem katholisch gebliebenen Freiburg im Breisgau über. Erst sechs Jahre später kehrte er nach Basel zurück und starb dort 1536 an Typhus.

Er gilt heute als der bedeutendste Humanist des 16. Jahrhunderts, als ein Gelehrter von universaler Bildung und ein glänzender lateinischer Stilist. Als kritischer Denker seiner Zeit zählte Erasmus zu den Wegbereitern der europäischen Aufklärung und wurde gleichermaßen von Spinoza, Rousseau, Voltaire, Kant, Goethe, Schopenhauer und Nietzsche geachtet.



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Text: -RR- 26.10.2009 // Bilder: Erasmus von Rotterdam gemalt von Hans Holbein dem Jüngeren (1523)/PD; Bildnis des Erasmus von Rotterdam; Süddeutschland, frühes 17. Jahrhundert, Kirschbaumholz/PD; Erasmus-Denkmal in Rotterdam: Frank Versteegen, Rotterdam/GFDL

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