Der Kaiser von Amerika

Wußtest du, dass die USA einen Kaiser hatten? Vor 150 Jahren ernannte sich der Geschäftsmann Joshua Norton selbst zu Kaiser Norton I., dem Kaiser der Vereinigten Staaten und Schutzherrn von Mexiko. Die Geschichte wurde sogar in ein Lucky-Luke-Comic-Heft eingebunden.

Kein blaues Blut

Joshua Norton war nicht von adeliger Abstammung. Er wurde am am 17. Januar 1811 als Sohn von John und Sarah Norton in England geboren. Amerikanische Quellen geben als Geburtstag den 14. Februar 1819 an, doch dort hatte man keinen Einblick in die Kirchenbücher, in denen das Jahr 1811 eingetragen ist.

1820 wanderten die Nortons nach Südafrika aus. Der Vater machte dort gute Geschäfte mit Schiffszubehör und hinterließ dem Sohn 40.000 US-Dollar als Startkapital. Nach heutigem Geldwert war das ein gewaltiges Vermögen  - zum Vergleich: ein Cowboy verdiente in den USA damals einen Dollar pro Tag.

Die neue Welt

Joshua hatte den Wagemut und die Reiselust seiner Eltern geerbt, und so siedelte er nach Nordamerika über, dem Land unbegrenzter Möglichkeiten. Damals tobte der Goldrausch, und alle Welt zog es nach Colorado, um dort das Glück zu suchen. Joshua wollte das Gold aber nicht mühsam aus dem Boden holen, sondern redlich verdienen. So ging er nicht nach Colorado, sondern nach Kalifornien. In San Francisco betätigte er sich zunächst erfolgreich als Grundstücksmakler und handelte mit Kaffee, Tee und Weizen.Auf diese Weise konnte er das Kapital seines Vaters auf 250.000 US-Dollar vermehren. So stieg er in der Gesellschaft zu einer anerkannten Persönlichkeit auf und wurde Mitglied der Freimaurer.

Fehlspekulation

Schon 1855 hatte Norton den Höhepunkt seiner Karriere erreicht. Einige seiner Freunde nannten ihn bereits zu dieser Zeit den Emperor. Mit seinem Vermögen hätte es bis zum Ende seines Lebens sorgenfrei auskommen können, doch er wollte noch mehr Geld verdienen.

Die Chance auf schnellen Reichtum sah er gekommen, als in China eine Hungersnot ausbrach und kein Reis von dort mehr importiert werden konnte. In Peru gab es billigen Reis, und so investierte er sein ganzes Kapital in eine Schiffsladung voll Reis aus Peru. Er ging davon aus, das durch die Knappheit der Preis für Reis steigen würde.

Die Rechnung hätte aufgehen können, wenn nicht mehrere Geschäftsleute auf die gleiche Idee gekommen wären. Als ein Schiff nach dem anderen Reis aus Peru lieferte, sackte der Preis wieder ab. 1858 musste Norton Bankrott erklären.

Veränderte Persönlichkeit

Nach dem Verlust seines Vermögens verschwand Joshua Norton aus der Stadt und kam erst neun Monate später wieder zurück. Wohin er sich zurückgezogen hatte und was er während dieser Zeit machte, ist nicht bekannt.

Als er im Sommer 1859 zurückkehrte, schritt er stolz mit einer Biberfellmütze, Uniform und Krönungsinsignien durch die Strassen von San Francisco. Seine Persönlichkeit hatte sich sichtbar verändert. Die Mehrheit der Menschen hielten ihn offensichtlich für verrückt. Er zeigte deutliche Symptome von Größenwahn. Möglicherweise litt er an Schizophrenie, da Größenwahn oft im Zusammenhang mit diesem Geisteszustand beobachtet wird.

Der erste und letzte Kaiser

In Briefen an die lokalen Zeitungen ernannte sich Joshua Norton am 17. September 1859 selbst zum Kaiser dieser Vereinigten Staaten (Emperor of These United States). Gelegentlich fügte er diesem Titel noch den Zusatz Schutzherr von Mexiko bei. Damit begann seine 21-jährige unangefochtene Herrschaft über Amerika. Er zeigte sich von den Unzulänglichkeiten des politischen Systems und der Staats- und Bundesregierungen der USA sehr enttäuscht und gab an, die Sache nun selbst in die Hand nehmen zu wollen. Dabei war er der erste "Medienkaiser", denn all seine Weisungen in Staatsangelegenheiten gab er an die Tageszeitungen von San Francisco weiter, die diese tatsächlich auch kommentarlos druckten.

Amtshandlungen


So forderte er gleich im Oktober 1859 die Absetzung des Kongresses, der natürlich seinem Herrschaftsanspruch im Wege stand und seine Eingaben konsequent ignorierte. Dieses Schweigen aus Washington wertete Norton als Rebellion, so dass er 1860 mit der Entsendung einer Armee drohte. Sehr zur Verärgerung Seiner Majestät befolgte die US-Armee sein Befehl jedoch nicht, so dass der Kongress nicht aufgelöst wurde. Dies zog weitergehende Erlasse im Jahre 1860 nach sich, wie später sogar die Auflösung der USA. Am 4. August 1869 schaffte er einfach sowohl die demokratische als auch die republikanische Partei per kaiserlichem Erlass ab, was niemand so richtig zu bemerken schien.

"Kaiser" Norton forderte aber auch visionäre Dinge wie die Gründung einer Liga der Nationen sowie die Errichtung einer Brücke über die San Francisco Bay nach Oakland. Die Dekrete können im Museum of the City of San Francisco besichtigt werden.

Ein anerkannter ...

Der Pleitier Norton brachte sogar eine eigene Währung heraus, die von seinen Untergebenen augenzwinkernd akzeptiert wurde. Die Banknoten wurden von 50 Cent bis 10$ ausgegeben; auf heutigen Auktionen erreichen die wenigen verbliebenen Scheine Werte von vielen tausend Dollar. Er benötigte kein offizielles Geld, da seine Unterkunft von der örtlichen Freimaurerloge bezahlt wurde, er in sämtlichen Restaurants von San Francisco stets einen Tisch reserviert bekam und seine Währung dort akzeptiert wurde.

Keine Theater- oder Musikvorführung hätte es sich erlaubt, in San Francisco zu eröffnen, ohne dem Kaiser und seinen beiden Hunden Lazarus und Bummer Logenplätze zu reservieren.

... und beliebter "Herrscher"

Obwohl er für verrückt oder zumindest in hohem Maße exzentrisch gehalten wurde, war er bei den Bürgern von San Francisco im mittleren und späten 19. Jahrhundert wegen seines Humors und seiner kaiserlichen Erlasse sehr bekannt und beliebt.

Als ein übereifriger Strassenpolizist im Jahr 1867 den "Kaiser" verhaftete, um ihn gegen seinen Willen der Behandlung von Geisteskrankheiten unterziehen zu lassen löste er damit einen Aufruhr in der Bevölkerung aus. Der Polizeichef persönlich musste sich darauf hin in aller Öffentlichkeit entschuldigen und den Kaiser sofort aus der Haft entlassen.

Die Liste der Volkszählung von 1870 führt einen Joshua Norton, wohnhaft in der Commercial St. 624 mit der Berufsbezeichnung Kaiser.


Der Tod eines Kaisers


Die schadens- und folgenlose Herrschaft des Kaisers Norton I. endete am Abend des 8. Januar 1880, als dieser auf dem Weg zu einer Vorlesung auf der Straße zusammenbrach. Ein Polizeibeamter wollte den Kaiser noch in ein Krankenhaus bringen, doch der Herrscher starb ehe die Kutsche am Krankenhaus ankam. Der Kaiser war bettelarm gestorben. Ganze fünf Dollar fanden sich in seinen Taschen und weitere 2,50 Dollar in seiner Wohnung neben dem Claim auf eine wertlose Goldmine.

Staatsbegräbnis für einen Mittellosen

Doch der "Kaiser" musste nicht ins Armengrab: Über 10.000 (manche Quellen sprechen sogar von 30.000) Einwohner San Franciscos drängelten sich in einer über drei Kilometer langen Schlange auf dem Masonic Cemetry Friedhof, um ihrem Kaiser den letzten Respekt zu erweisen. Die Flaggen in der Region wurden auf Halbmast gesetzt, Geschäfte blieben geschlossen. Es war die aufwändigste Beerdigung in der Geschichte San Franciscos.

Im Jahr 1934 wurden die sterblichen Überreste des einzigen Herrschers der Vereinigten Staaten zu einem angemesseneren Friedhof in Colma (Woodlawn Cemetary) überführt, wo heute noch das Grab besichtigt werden kann.

Nachwirkung

In Literatur und Film hallt der Ruf des "Kaisers von Amerika" bis heute nach. Schon zu Lebzeiten hatte er den Schriftsteller Mark Twain auf sich aufmerksam gemacht. Als im Jahr 1865 des Kaisers Hund Bummer verstorben war reiste Mark Twain an, um eine Grabinschrift zu verfassen, die besagte dass Bummer "full of years, and honor, and disease, and fleas" gestorben war.

Twain hat Norton auch ein literarisches Denkmal gesetzt: Der "König" in dem Buch "Huckleberry Finns Abenteuer" entstand nach seinem Vorbild.

Die Ausgabe Nr. 57 der Comic-Serie Lucky Luke mit dem Titel "Der Kaiser von Amerika" stellt die Person Kaiser Nortons mit vielen witzigen Details vor.

Die Folge 225 "Der Kaiser von Amerika", der Western Serie Bonanza handelt allein über den Kaiser Norton I..

Kaiser Norton und seine beiden Hunde haben zudem einen kurzen Auftritt in Barbara Hambly's Ishmael - einem Roman zum Star Trek-Universum, in dem der Vulkanier Mr. Spock den Kaiser trifft.

In Christopher Moores Roman "Bloodsucking Fiends" gibt es einen scheinbar unsterblichen Norton im im San Francisco der Gegenwart.

Eine Kurzgeschichte von Robert Silverberg "The Palace at Midnight"  beschreibt ein post-apokalyptisches Kalifornien mit einem Kaiserreich von San Francisco. Der herrschende Kaiser ist ein ein seniler Norton VII.

In der Religion des Discordianism wird Emperor Norton als Heiliger zweiten Grades verehrt - der höchste Rang für einen nicht-fiktiven Menschen. In den Aufzeichnungen der  Principia Discordia  hat die Gruppe "Joshua Norton" aus San San Francisco den Slogan:

"Jeder versteht Mickey Mouse. Wenige verstanden Hermann Hesse. Nur eine Handvoll verstanden Albert Einstein. Und niemand verstand Kaiser Norton."


Mehr über die Pionierzeit in Amerika findet ihr im WAS IST WAS Band 18 der Wilde Westen. Über geheimnisvolle, verschollene Goldminen lest ihr im WAS IST WAS Band 96 Schatzsuche.

Text: RR, Stand 16. 90. 2009, Fotos: H.W. Bradley, William Rulofson, Wells Fargo History Museum, San Francisco, California, USA (alle PD)


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