Terroranschlag in Madrid

Ab 7.30 Uhr detonierten fast zeitgleich und ohne telefonische Vorwarnung drei Sprengsätze auf dem Madrider Bahnhof Atocha, der im Süden von Madrids Innenstadt liegt, vier in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs, einer im Bahnhof Santa Eugenia und zwei im Bahhof Pozo. Weitere Sprengsätze konnten von der Polizei entschärft werden.

Die Bomben explodierten, als der Madrider Berufsverkehr - wie jeden Werktag - gerade ins Rollen kam. Um diese Uhrzeit wird der Bahnhof und die einfahrenden Nahverkehrszüge von eintreffenden Arbeitern, Angestellten, Schülern und Studenten bevölkert, die auf dem Weg zu ihren Arbeitsstellen, Schulen oder Universitäten sind. Alles ganz normale Menschen, die einen ganz normalen Arbeitstag beginnen wollten. Sie wurden jäh aus diesem Alltag gerissen.

Nach den Explosionen ähnelten die betroffenen Züge und Bahnhöfe einem Schlachtfeld. Bisher steht die Zahl der Toten bei 202, mehr als 1600 wurden verletzt, einige davon lebensgefährlich.

Plötzlich war das Leben in der spanischen Hauptstadt wie gelähmt. Die Madrilenen versuchten Freunde, Verwandte und Bekannte anzurufen um sicher zu gehen, dass niemand aus der eigenen Familie oder Bekanntschaft unter den Opfern ist. Das Telefonnetz brach zusammen. Menschen weinten auf der Straße, suchten ihre Angehörigen, Kinos, Cafés, Büros - alles schloss. Noch immer sind die Menschen fassungslos, geschockt, voll Wut und Trauer. Alle bewegt eine Frage:

Wer steht hinter diesen grausamen Terroranschlägen?

Als Attentäter kam für die Regierung zunächst nur die baskische Terrororganisation ETA in Frage, mittlerweile wird aber auch ein islamistischer Hintergrund des Anschlags für möglich gehalten.

Ein Anschlag der baskischen ETA?

ETA ist die Abkürzung für "Euzkadi Ta Azkatasuna", zu deutsch: "Das Baskenland und seine Freiheit". Zum Baskenland gehört eine spanische Provinz, der spanische Teil der Provinz Navarra, sowie die französische-baskische Provinz. Die Basken haben eine eigene Kultur und Sprache.

1959 wurde die baskische Untergrundorganisation ETA gegründet. Damals litten die Basken stark unter der Herrschaft Francos. Die ETA leistete ihm Widerstand. 1968 verübte die Organisation ihr erstes Attentat. Viele weitere mit mehr als 800 Toten sollten bis jetzt folgen.

1976 spaltete sich die ETA in eine militante, gewalttätige Gruppierung und eine politische. Immer wieder fordert die ETA einen eigenen Staat der Basken. Und immer wieder machte die ETA mit politischen Attentaten gegen Politiker, Militärs oder Staatsbedienstete von sich reden. Sie legten Autobomben, entführten politische Persönlichkeiten und erpressten. Es kam aber auch zu Attentaten gegen unbeteiligte Menschen. Das schlimmste 1987, als durch eine Bombe in einem Supermarkt in Barcelona 21 Menschen starben und 45 verletzt wurden.

Wurde die ETA zu Beginn von vielen Basken und auch anderen Spaniern wenn nicht gemocht, so doch verstanden, sieht das heute ganz anders aus. Die meisten Basken fühlen sich dem demokratischen Spanien zugehörig und verurteilen die ETA und ihre Attentate zutiefst. Für viele Menschen ist die ETA nichts anderes als eine spanische Mafia.

Bisher warnte die ETA "normalerweise" die Polizei vor einem Attentat, so dass Sicherheitskräfte entsprechende Räume absperren und die Menschen schützen konnten. Dieses Mal gab es keinerlei Hinweise und die Führung der ETA behauptet, die Bombenanschläge am Donnerstag, den 11.März nicht verübt zu haben.

Ein islamistischer Terroranschlag?

Der spanische Regierungschef José María Aznar hatte sich im Irak-Krieg demonstrativ auf die Seite der USA geschlagen und den Krieg, gegen den Protest der Bevölkerungsmehrheit, unterstützt. Seither wird Spanien von Extremisten auch als einer der Hauptfeinde des Islam in Europa angesehen.

Die Polizei fand einen gestohlen gemeldeten Mini-Van, in dem sich Sprengzünder und eine Kassette mit Koranversen befanden. Kurz darauf kam eine Meldung aus London, dass bei der arabischen Zeitung "Al-Quds al Arabi" ein Bekennerschreiben eingegangen sei. Darin stehe, dass die Brigaden von Abu Hafs im Namen von Osama Bin Ladens Terrornetzwerk al-Qaida die Verantwortung für die Anschläge übernehmen. Die Gruppe hatte sich bereits vorher zu mehreren Anschlägen bekannt.

Spanien steht unter Schock.

Die Suche nach den Schuldigen wird fortgesetzt. Donnerstag, Freitag und am Samstag kam es in ganz Spanien zu zahlreichen Demonstrationen und Schweigeminuten von Millionen von Menschen, gegen Gewalt - für die Opfer. Die Regierung hat eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Der Wahlkampf für die Parlamentswahlen am Sonntag wurde ausgesetzt.

Doch gerade für die Wahlen war es von Bedeutung, wer die Schuldigen an diesem grausamen Verbrechen waren: Wäre es die ETA gewesen, hätte die konservative Regierung sicher noch Stimmen zugelegt, denn sie stand für einen strikten und harten Kurs gegen die baskische Untergrundorganisation.

Die Regierung Aznars versuchte alles um für dieses Attentat die ETA verantwortlich zu machen. Sie ging sogar soweit, die freien Journalisten und das spanische Fernsehen ständig zu beeinflussen. Sie gaben zum Teil Falschmeldungen heraus, die betonten und unterstrichen, dass die ETA das graumsame Massaker angerichtet habe.

Doch die spanische Bevölkerung erkannte diesen Schwindel und reagierte mit riesigen Demonstrationen, in denen sie die Wahrheit von der Regierung einforderten. Und sie reagierten mit ihren demokratischen Mitteln: Bei den Parlamentswahlen am Sonntag gaben sie die Mehrheit ihrer Stimmen der Gegenpartei PSOE und wählten die alte Regierung von José Maria Aznar ab. So wurde der Regierungschef für seine falsche Informationspolitik und für seine Irak-Politik verantwortlich gemacht.

Mittlerweile haben sich die Hinweise auf eine islamistische Terroraktion verdichtet. Es wurden auch schon einige Tatverdächtige festgenommen. Doch ganz egal, wer es war - die Frage, wie ein Mensch so etwas Grausames und Ungerechtes tun und verantworten kann, wird weiter bestehen und ist wohl nicht zu beantworten oder zu verstehen.

-ab-12.03.03 Text, auf den neuesten Stand gebracht am 18.03.04

Hinweis: Im Archiv wurden alle Bilder und Links entfernt