Richard von Weizsäcker

Er war der beliebteste Präsident der Deutschen und nicht nur wegen seiner brillanten Reden auch im Ausland hoch angesehen. Nach der Wiedervereinigung wurde er zum ersten Präsidenten aller Deutschen. Zehn Jahre lang - von 1984 bis 1994 prägte der sechste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland ein positives Bild der Nation.

Richard von Weizsäckers Leben ist ein Spiegel der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Als er am 15. April 1920 in Stuttgart geboren wurde, keimte mit der Weimarer Republik gerade die erste Demokratie auf, um bald darauf von den Nationalsozialisten niedergetreten zu werden.

Sein Vater Ernst von Weizsäcker arbeitete als Diplomat, und so wuchs Richard mit seinen drei Geschwistern abwechselnd in der Schweiz, in Dänemark und in Berlin auf.

In den Jahren 1937 und 1938 studierte er in Oxford und in Grenoble, ehe er in den Reichsarbeitsdienst eingezogen wurde.

Dunkle Zeiten

Als Staatssekretär im Außenministerium unter Joachim von Ribbentrop versuchte Ernst von Weizsäcker den Ausbruch des 2. Weltkrieges zu verhindern, doch vergeblich. Als 1939 der Feldzug gegen Polen begann, marschierten auch seine Söhne Richard und Heinrich in dem Nachbarland ein.

Eine entscheidende Zäsur in Richard von Weizsäckers Leben war der Verlust seines Bruders. Gleich in den ersten Tagen des Polenfeldzuges fiel sein Bruder Heinrich nur wenige hundert Meter neben ihm. Dennoch musste er bis zum letzten Tag als Soldat in der Wehrmacht bleiben.

Von 1941 bis 1945 nahm er am Krieg gegen die Sowjetunion teil. In den letzten Kriegstagen im April 1945 wurde er in Ostpreußen verletzt und zurück nach Potsdam transportiert.

In der Zwischenzeit war Ernst von Weizsäcker bei den Nationalsozialisten in Ungnade gefallen und diente als deutscher Diplomat im Vatikan. Die Siegermächte holten ihn von dort nach Deutschland zurück und klagten ihn im sogenannten "Wilhelmstraßen-Prozess" bei den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen an.

Verteidiger des Vaters

Durch die Taten seines Vaters wurde Richard von Weizsäcker, immer wieder mit der Frage nach Schuld und Verstrickung konfrontiert. Nach dem Krieg studierte er Rechtswissenschaften und Geschichte in Oxford, Grenoble und Göttingen. Noch als Student arbeitete er von 1947 bis Anfang 1949 als Assistent von Rechtsanwalt Hellmut Becker, der seinen Vater in Nürnberg verteidigte. Ernst von Weizsäcker wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt, 1950 wurde er vorzeitig entlassen. Wenig später starb er.

Die junge Bundesrepublik

Nach ersten beruflichen Stationen am Oberlandesgericht Celle und bei der Mannesmann AG in Düsseldorf promovierte Richard von Weizsäcker 1954 zum Dr. jur. und trat der CDU bei. 1953 heiratete er die zwölf Jahre jüngere Marianne von Kretschmann. Es folgten Posten in der Wirtschaft und im Bankgewerbe.

1966 ließ er sich als Rechtsanwalt in Berlin nieder. Bereits seit 1962 zählte von Weizsäcker zu den Präsidiumsmitgliedern des Deutschen Evangelischen Kirchentages, dessen Präsident er von 1964 bis 1970 und von 1977 bis 1983 war. Ferner gehörte er der Synode der Evangelischen Kirchen in Deutschland und dem Exekutivausschuss des Weltkirchenrats an.

Von 1969 bis 1981 gehörte er als CDU-Abgeordneter dem Bundestag an, zuletzt als Vizepräsident. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Grundsatzkommission war er von 1971 bis 1977 maßgeblich an der programmatischen Ausrichtung der CDU beteiligt.

Sowohl als Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages als auch während der Zeit als Abgeordneter im Deutschen Bundestag vertrat er stets seine eigene Meinung, auch wenn ihm dies nicht nur Freunde einbrachte. So hielt er 1972 zwei vielbeachtete Reden im Bundestag, die dazu beitrugen, dass die CDU/CSU-Opposition durch Stimmenthaltung die Ratifizierung ermöglichte. Weizsäcker hat sich damals vor allem für den Abschluss des Warschauer Vertrages eingesetzt.

Von 1981 bis 1984 amtierte Richard von Weizsäcker als Regierender Bürgermeister von Berlin.

In dieser Zeit schuf er unter anderem das Amt der Ausländerbeauftragten und setzte die von ihm schon früher unterstützte Entspannungspolitik fort. Als Erster in diesem Amt reiste er von West-Berlin in die DDR.

In Ost-Berlin wurde er von Erich Honecker empfangen und sprach in der Wittenberger Stadtkirche.

Ein Präsident aller Deutschen

Am 23. Mai 1984 wurde Richard von Weizsäcker als Nachfolger von Karl Carstens mit 832 von 1017 gültigen Stimmen zum sechsten deutschen Bundespräsidenten gewählt. Keiner seiner Vorgänger verfügte über eine derart breite Vertrauensbasis - auch zahlreiche Delegierte von SPD und FDP hatten für ihn gestimmt. So wurde er auch nach fünf Jahren in seinem Amt bestätigt.

Weizsäcker sah seine Hauptaufgabe mehr in der Begegnung mit Menschen, weniger in bloßen Repräsentationspflichten. Wichtig war ihm der Kontakt zur Jugend. Auch gegenüber Randgruppen der Gesellschaft oder harten Kritikern des Staates zeigte Weizsäcker keine Berührungsängste.

Berühmt wurde die Rede vom 8. Mai 1985 zum 40. Jahrestag des Kriegsendes, wobei er sich ohne Beschönigung mit den deutschen Verbrechen der Nazi-Zeit auseinander setzte.

Beim Festakt zur Wiedervereinigung Deutschlands in Berlin am 3. Oktober 1990 prägte Weizsäcker die Worte "Sich zu vereinen, heißt teilen lernen". Ob es um die Finanzierung der deutschen Einheit oder um die Kritik am Parteienwesen ging -- sich unabhängig von Bundestag und Bundesregierung zu äußern stellte den Kern von Richard von Weizsäckers Amtsauffassung dar. Den Parteien warf er vor, dass ihr wichtigstes Ziel sei, die nächste Wahl zu gewinnen und nicht langfristig Probleme dieses Landes zu lösen.

1984 hatte er versprochen, "Präsident aller Bürger" sein zu wollen. Keiner bestreitet, dass ihm das weitgehend gelungen ist.

Im Un-Ruhestand

Auch im Ruhestand ist Richard von Weizsäcker ein gefragter Mann. Seit 1994 ist er Vorsitzender des Bergedorfer Gesprächskreises der Körber-Stiftung und des Kuratoriums der Theodor-Heuss-Stiftung. Seit 2002 gehört er außerdem dem Kuratorium des Hannah Arendt-Zentrums an der Universität Oldenburg und ist seitdem daneben auch Schirmherr der Initiative Perspektive Deutschland.

Nicht nur als Vorsitzender der Zukunftskommission der Bundeswehr setzt sich der Altbundespräsident weiterhin für Frieden und Entspannung ein.

Als Mitglied des Club of Rome gehört er nach wie vor zu jenen Menschen, deren Stimmen auf dieser Welt gehört und beachtet werden.

Die berühmte Rede vom 8. Mai 1985 findest du hier.


Mehr über die Deutsche Geschichte erfahrt ihr auch im WAS IST WAS Band 126 Deutschland.

Text: Roland Rosenbauer, 11. 4. 2005, akt. 2010, Fotos: DHM, Bundesarchiv, PD-USGov, Hans Weingartz (Weizsäcker 2009, cc by sa 2.0)


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