Oradour - Das Leben muss weitergehen!

Ohne Menschen, die das Grauen des Zweiten Weltkriegs miterlebt haben, bleiben uns nur Gedenkstätten, Filme, oder Bücher, um an die Zeit vor über 60 Jahren zu erinnern. Viel lebendiger, eindringlicher und schockierender ist es jedoch, wenn man jemandem zuhört, der die Zeit selbst miterlebt hat. In ganz Deutschland gibt es solche Veranstaltungen, auch im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände. Ein Beispiel für lebendige Erinnerung und Austausch der Generationen war die Begegnung zweier Schulklassen der Staatlichen Realschule aus Haßfurt (Bayern) mit Robert Hébras. Er ist einer der beiden letzten noch lebenden Augenzeugen des Massakers von Oradour.

Ein kleiner Mann mit blitzenden Augen und silberweißem Haar betritt den Ausstellungssaal des Dokuzentrums in Nürnberg, in dem gerade eine Foto-Ausstellung über das Massaker von Oradour zu sehen ist. Er beginnt, leise zu sprechen.

In kurzen, klaren Sätzen erzählt er von der Ausrottung eines ganzen Dorfes, seiner Heimat, im Jahr 1944. Eine Waffen-SS Division zerstörte am 10. Juni 1944 den kleinen Ort Oradour-sur-Glane und richtete unter den Bewohnern ein Massaker an. Er schildert, wie Frauen und Kinder von den Männern getrennt wurden. Wie sie in eine Kirche gepfercht wurden, die anschließend beschossen wurde. 642 Menschen wurden ermordet, mehr als 500 davon waren Frauen und Kinder.

Angst in geschlossenen Räumen

Er selbst überlebte, weil so viele andere starben, die auf ihn fielen. In den umliegenden Wäldern konnte er sich zunächst verstecken. Er schlug sich zu einer älteren Schwester, die 20 km entfernt wohnte, durch. Dort traf er seinen Vater, der überlebte, weil er am Morgen das Dorf verlassen hatte. Noch lange Zeit nach den Geschehnissen schlief Monsieur Hébras im Freien, weil er Angst vor geschlossenen Gebäuden hatte.

Als Ergebnis dieses Massakers ging Robert Hébras in den Widerstand, die Résistance, und anschließend zur Armee. Schließlich ließ er sich neben den Ruinen des kaputtgeschossenen Dorfes nieder und arbeitete als KFZ-Mechaniker.

Kein Hass mehr auf die "Barbaren"

"Das Leben muss weitergehen!", sagt Monsieur Hébras mit festem Blick, den aufmerksamen Jugendlichen zugewandt. Ergriffenheit ist einigen Gesichtern deutlich anzusehen, als Monsieur Hébras das Erlebte schildert. Hass empfinde er heute keinen mehr auf die Deutschen, damals jedoch habe er sie für Barbaren gehalten. Zumal in Frankreich und Deutschland seit jeher das Bild des Erbfeindes auf der anderen Seite des Rheins gepflegt wurde.

Erinnerungen aus 1. Hand

Während seiner Erzählung ist man den Ereignissen damals viel näher, als es ein Buch je vermitteln könnte. Im Anschluss stellte sich Robert Hébras den Fragen der Jugendlichen. Bei den Begegnungen und Erzählungen von Zeit- und Augenzeugen geht es nicht um den Horror erlebter Gräueltaten. Auch Erzählungen über das ganz normale Leben zur Hitlerzeit geben uns einen Einblick in eine Welt, die uns heute sehr fern ist. Nur wenige Kinder können sich heute für Militärspielzeug und Marschmusik begeistern. Ganz anders damals, als Paraden von Soldaten und reich behängter Offiziere noch Attraktionen waren.

Es ist ein anderes Erinnern, davon in einem Buch zu lesen, oder jemandem gegenüber zu sitzen, der das erlebt und überlebt hat. Robert Hébras mahnte die Schüler zur Verantwortung. Sie trügen natürlich keine Schuld an dem Massaker, das sein Leben bestimmte. Aber sie und wir alle haben nun die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder geschieht. Monsieur Hébras schloss seine Erzählung mit der Bitte, niemals zu vergessen.

Zitate:

Die Geschichte lehrt ständig, doch sie findet keine Schüler. (Ingeborg Bachmann)

Wir sind die letzten, fragt uns aus... (Hans Saal)

Habt ihr schon einmal nach der Zeit damals gefragt? Wie haben die Menschen die Zeit erlebt? Was ist ihnen besonders in Erinnerung geblieben? Fragt in eurem Stadtmuseum nach, ob sie Begegnungen mit Zeitzeugen anbieten. Nutzt die Gelegenheit, noch aus erster Hand zu lernen.

Die Fotoaussstellung im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände läuft noch bis zum 31. August 2005.

Text & Fotos: -jj- 20.7.2005

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