Der Hauptmann von Köpenick

1906 marschierte ein Schuster in der Second-Hand-Uniform eines Hauptmanns mit unterwegs zusammengesuchten Soldaten in das Rathaus des Berliner Stadtteils Köpenick ein, beschlagnahmte die Stadtkasse und ließ den Bürgermeister verhaften. Allein das Tragen einer Uniform hatte ihm alle Türen geöffnet. Die ganze Welt lachte über den Streich, der die deutsche Militär- und Uniformgläubigkeit infrage stellte.

Wer war eigentlich Wilhelm Voigt?

Rechts: Polizeifoto von Wilhelm Voigt.

Der Mann, der am 16. Oktober 1906 ins Köpenicker Rathaus einmarschierte, hieß mit bürgerlichem Namen Wilhelm Voigt und wurde 1849 als Sohn eines Schumachers in Tilsit (Ostpreußen) geboren. Schon mit 14 Jahren wurde er zu einer kurzen Haftstrafe wegen eines Diebstahls verurteilt. Bis 1906 sitzt er insgesamt 44 Jahre hinter Gittern wegen zahlreicher Diebstähle und Urkundenfälschungen.

Dazwischen arbeitet er in verschiedenen Städten als Schumacher. Doch fast überall, wo er sich niederlassen will, wird ihm aufgrund seiner kriminellen Karriere eine Aufenthaltsgenehmigung verwehrt. Weder in Mecklenburg-Vorpommern noch in Berlin darf er bleiben. Am 24. August 1906 wird er aus Berlin ausgewiesen, wohnt jedoch weiterhin illegal dort.

Der große Auftritt - sorgfältig geplant

Voigt kauft sich in verschiedenen Berliner Trödelläden die Bestandteile der Uniform eines Hauptmanns des 1. Garde-Regiments zu Fuß. Am 16. Oktober 1906 fährt er als Hauptmann verkleidet nach Köpenick und beobachtet die Umgebung des Rathauses.

Viele öffentliche Gebäude wurden damals von Soldaten bewacht. Voigt nützt diese Möglichkeit und hält nach der mittäglichen Wachablösung zuerst die Wachen der Militärschwimmanstalt am Plötzensee, danach eine vom Schießstand kommende Truppe an und befiehlt diesen, sich ihm anzuschließen.

Der Überfall aufs Rathaus



Links: Bronzestatue vor dem Rathaus Berlin-Köpenick



Er täuscht einen Befehl von oberster Stelle vor und da sich niemand widersetzt, marschiert er mit seiner zehn Mann starken Streitmacht zum Köpenicker Rathaus. Vor den Toren postiert er einige seiner Soldaten und befiehlt der örtlichen Gendarmerie, während seiner Aktion für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Alle gehorchen dem verkleideten Schuster.

So gelingt es Voigt, Bürgermeister, Osterstadtsekretär und Kassenwart zu verhaften und die Stadtkasse mit 4000 Mark in bar zu beschlagnahmen. Einige seiner Soldaten bringen die Häftlinge zur Neuen Wache nach Berlin, die übrigen halten die Stellung am Rathaus. Er selbst macht sich einfach davon.



Der Hauptmann wird bekannt

Rasch wird deutlich, dass alle Beteiligten dem Streich eines Hochstaplers auf den Leim gegangen sind. Das Ereignis macht die Runde und in aller Welt amüsiert man sich über die Uniformgläubigkeit der Deutschen.

Zehn Tage nach seinem Gaunerstück wird Voigt gefangen genommen und zu vier Jahren Haft verurteilt. Schon nach zwei Jahren erhält er von Kaiser Wilhelm höchstpersönlich die Begnadigung.

Von nun an tingelt er durch die Lande und vermarktet seine Person: Er verkauft Postkarten, auf denen er als Hauptmann von Köpenick zu sehen ist, tritt auf Jahrmärkten und in Gaststätten auf. Er verfasst sogar ein Buch mit Lebenserinnerungen, unternimmt Tourneen nach Kanada und in die USA. In Luxemburg erwirbt er ein Haus und setzt sich zur Ruhe. Dort stirbt er am 3. Januar 1922.

Ein Stoff für Film und Theater

Schon wenige Tage nach dem Vorfall wurde die Köpenickiade in einem Berliner Schauspielhaus nachgespielt. Ein echtes Theaterstück machte Carl Zuckmayer 1930 daraus. Seine Tragikomödie verändert die Vorlage nur wenig: Laut Zuckmayer wollte der Hochstapler nur einen neuen Pass erwerben, um wieder ein normales Leben führen zu können und eine Arbeitsstelle zu erhalten. Da ihm dies verwehrt blieb, unternahm er den Raubzug - um sich auf diesem Weg einen Ausweis zu beschaffen.

Viele Male wurde die Geschichte des Hauptmanns verfilmt, darunter auch 1956 mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle.

Veranstaltungen zum Jubiläum

Links: Aus Anlass des Jubiläums wurde durch das Heimatmuseum Köpenick eine Gedenkmünze zu Ehren des Hauptmannes von Köpenick herausgegeben.

Mit einer Vielzahl von Veranstaltungen gedenken die Berliner zum 100sten Jahrestag der Köpenickiade des gerissenen Schusters. Eine Übersicht findet ihr hier.

Weitere Infos:

 

Heimatmuseum Köpenick

Köpenickia: die ausführliche Lebensgeschichte des Wilhelm Voigt. 

Text: lm 13.10.06, Fotos: GFLD: Statue: Lienhard Schulz; Polizeifoto Voigt; Gedenkmünze: www.berlin.de; Buchcover: Fischer Verlag.

Hinweis: Im Archiv wurden alle Bilder und Links entfernt