13. August 1923: Stresemann wird Reichskanzler

Der nationalliberale Politiker Stresemann prägte mit seiner Politik die Weimarer Republik von 1923 bis 1929. Er überwand die große Inflation und löste die Krise, die durch die französische Besetzung des Ruhrgebietes entstanden war. Warum er trotzdem nicht verhindern konnte, dass rechtsradikale Strömungen immer mehr Anhänger fanden, lest ihr hier.

Am 13. August 1923 wird Gustav Stresemann deutscher Reichskanzler. Es herrscht Krisenstimmung in der Weimarer Republik. Seit dem Ersten Weltkrieg wird die finanzielle Situation Deutschlands immer schlechter. Schon zur Finanzierung des Krieges hatte die Regierung Schulden gemacht.

Danach mussten nicht nur Flüchtlinge und Verwundete unterstützt werden, sondern die Siegermächte hatten Deutschland im Zuge des Versailler Vertrages erhebliche Wiedergutmachungs-Zahlungen auferlegt. Um diesen Forderungen nachkommen zu können, ließ man immer mehr Geld drucken.


50.000 Mark für ein Ei


Rechts: Während der Inflation 1923 wurde oft in Naturalien und nicht mit wertlosem Geld bezahlt. Hier zahlen zwei Jungen mit Presskohlen für eine Kinovorstellung. Illustration aus WAS IST WAS Band 78 Geld.



Der steigenden Geldmenge standen jedoch nicht mehr Waren gegenüber. Die Folge: Die Preise stiegen ins Unermessliche. Musste man im Februar 1920 noch 3,90 Reichsmark für 10 Eier zahlen, kosteten sie im Februar 1921 schon 40 Mark und ein Jahr später 2.800 Mark. Im August 1923 musste man schließlich 500.000 Reichsmark für zehn Eier hinblättern. Man nennt eine solche Entwicklung Inflation oder Geldentwertung.


Besetzung des Ruhrgebietes


Gerade seit Januar 1923 spitzte sich die Situation drastisch zu. Am 11. Januar waren französische Truppen ins Ruhrgebiet einmarschiert und hatten es besetzt. Die Deutschen waren mit ihren Wiedergutmachungsschulden, die nicht nur Geld, sondern auch Warenleistungen, zum Beispiel Holz- und Kohlelieferungen umfassten, im Rückstand. Nun wollten sich die Franzosen die Kohlen gleich dort holen, wo sie abgebaut wurden.


Die deutsche Regierung war darüber empört und rief die im Ruhrgebiet lebende Bevölkerung, immerhin 3 Millionen Menschen, dazu auf, passiven Widerstand zu leisten, sich also nicht den Forderungen der Besatzungsmacht zu beugen.


Frankreich schottete das Ruhrgebiet daraufhin komplett vom Rest des Deutschen Reiches ab. Um die dort lebenden Menschen nicht verhungern zu lassen, musste die Reichsregierung täglich 40 Millionen Goldmark für Nahrungsmittel und andere Güter aufbringen, die sie in die besetzte Zone transportieren ließ. Diese Kosten ruinierten die bereits schwer angeschlagene Wirtschaftskraft des Staates vollständig.


Stresemann soll's richten


Mitten in dieser Krise wird Gustav Stresemann am 13. August 1923 zum Kanzler ernannt. Sein Vorgänger Wilhelm Cuno gibt sein Amt am 11. August zurück, da er die Probleme nicht mehr in den Griff bekommen. Große Teile der Bevölkerung sind durch die Inflation verarmt, überall herrscht Hunger, die aufgebrachten Menschen streiken, es kommt zu Arbeitslosenunruhen, Lebensmitteltransporte werden ausgeraubt.


Wer ist dieser Gustav Stresemann?


Der am 10. Mai 1878 geborene Sohn eines Berliner Bierhändlers kennt von klein auf die wirtschaftliche Situation von Kleinunternehmern und Mittelständlern. Er studiert Nationalökonomie und beginnt im Alter von 25 Jahren seine politische Karriere, indem er in die Nationalliberale Partei eintritt. Von 1904 an ist der regelmäßig Mitglied des Reichstages.

1910 wird er Vorstandsmitglied des Bundes der Industriellen. Das wirtschaftliche Wohl des Staates ist ihm besonders wichtig. Deshalb vertritt er vor und während des Ersten Weltkriegs auch die sogenannte Annexionspolitik durch die Einnahme anderer Länder, besonders von Kolonien soll die Finanzkraft seines Landes gestärkt werden.


Nach dem Ersten Weltkrieg gründet er die nationalliberal orientierte Deutsche Volkspartei (DVP). Stresemann ist Realpolitiker, also jemand, der sein Handeln am aktuell Machbaren orientiert und nicht an unverrückbaren Grundsätzen. Ein Beispiel: Nach dem Ersten Weltkrieg ist Stresemann zunächst weiterhin monarchistisch eingestellt das Kaisertum ist sein Ideal. Nach und nach wandelt er sich jedoch zum Befürworter der Republik und der Demokratie.


Der Realpolitiker als Kanzler


Auch in Bezug auf die Ruhrbesetzung zeigt er sich als Realpolitiker und gibt im August 1923 den passiven Widerstand auf, ohne von Frankreich im Gegenzug einen Abzug ihrer Truppen zu fordern. Er hofft, dadurch zu einer friedlichen Lösung mit Frankreich zu kommen. Langfristig gesehen gelingt ihm das tatsächlich, doch zunächst sind seine nationalistisch gesinnten Landsleute gegen ihn. Sie wollen keine Zugeständnisse an Frankreich und machen gegen ihn und die Reichsregierung Stimmung. Adolf Hitler gelingt es in dieser Zeit in Bayern mehr und mehr Anhänger um sich zu scharen.



Die Rentenmark schafft Stabilität


Um der Inflation Einhalt zu gebieten, setzt Stresemann im November 1923 eine Währungsreform durch. Das alte Geld wird entwertet und die neue Währung, die sogenannte Rentenmark ausgegeben. Auf diese Weise stabilisiert sich innerhalb kurzer Zeit die wirtschaftliche Situationen. Die Zeit von 1924 bis etwa 1928 wird auch als die Goldenen Zwanziger beschrieben. Erst danach kam mit der Weltwirtschaftskrise ein erneuter Niedergang.


Nicht genug Frieden für den Nobelpreisträger


Gustav Stresemann ist nur drei Monate Kanzler, bleibt jedoch bis zu seinem Tod am 3. Oktober 1929 Außenminister und erreicht im Laufe dieser Zeit eine Verbesserung der Beziehungen zu Frankreich und eine Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund. Im Dezember 1926 erhält er gemeinsam mit August Briand, dem französischen Außenminister den Friedensnobelpreis verliehen.


Trotz seiner Erfolge äußerte Stresemann kurz vor Ende seines Lebens seine Enttäuschung darüber, dass ihm die Franzosen nicht noch mehr entgegen gekommen waren. Da sich die Deutschen weiterhin von den überzogen Forderungen des Versailler Vertrages geknechtet fühlten, würde die junge Generation in die Hände rechtsradikaler Volksverführer fallen.


Mit dieser Äußerung sollte Stresemann leider Recht behalten. Vier Jahre später, 1933 übernahm Adolf Hitler die Macht in Deutschland.


Über Inflation erfahrt ihr mehr im WAS IST WAS Band 78 Geld. 

Text: Liane Manseicher, Bilder: Illustration Inflation: Udo Kruse-Schulz; Foto Stresemann; Rentenmarkpfennig und Briefmarke: pd.

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